Richard David Precht, unser Fernsehphilosoph für alle Fälle

Begonnen von Berthold, 30.Dez.17 um 19:06 Uhr

⏪ vorheriges - nächstes ⏩

Berthold

#45
Zitat von: Rüdi am 10.Apr.22 um 19:14 UhrIch gebe es auf! Woher hast diese Prozentzahlen? Du hast noch nicht mitbekommen, dass selbst die ehemals russisch orientierten Ukrainer nichts mit Putin und seiner Phobie zu tun haben wollen und mit der Waffe in der Hand ungezwungen kämpfen. Sie sprechen jetzt aus Protest nicht mehr russisch.

Aber das stimmt doch einfach nicht, dass alle Bewohner der Ukraine nicht mit oder unter Putin leben wollen.
Auf der Krim wollte eine deutliche Mehrheit der Bewohner die Kiew-Regierung los werden, im Osten der Ukraine war es ähnlich.
Du sprichst nur für die nationlistischen Ukrainer, die von Selenskyj zum Kampf auf Leben und Tod angestachelt werden.
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

Berthold

Zitat von: Rüdi am 10.Apr.22 um 19:14 UhrDu hast noch nicht mitbekommen, dass selbst die ehemals russisch orientierten Ukrainer nichts mit Putin und seiner Phobie zu tun haben wollen und mit der Waffe in der Hand ungezwungen kämpfen. Sie sprechen jetzt aus Protest nicht mehr russisch.

Deine Behauptung, dass das für alle zutrifft, ist sicherlich falsch.
Es ist einfach absurd zu sagen, alle ukrainischen Bewohner sind bereit, im Kampf gegen Putin zu streben. Selenskyj behauptete das gern aus Propaganda-Gründen, ebenso wie seinerzeit Hitler über das deutsche Volk.
 
Ich gehe davon aus, dass 20 bis 30% der ukrainischen Bewohner nicht der ideologischen Einschränkung von Michael Kohlhaas unterliegen, kulturell oder nationalistisch von Haus aus russisch orientiert sind. Die wollen einfach nicht im Kampf gegen Russland sterben.
Richard David Pracht scheint es ähnlich zu sehen.
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

Rüdi

Mit gütigen Menschen zu leben, ist wie einen Raum mit Orchideen zu betreten -
        :: Kǒng Fū Zǐ  孔夫子 :: 推手 ::

Berthold

Zitat von: Rüdi am 10.Apr.22 um 20:51 UhrAuch Philosophen irren halt.

Ja, unbestritten, aber 20 bis 30% der Bevölkerung irren sich in diesem Fall eben nicht. Sie sind Realisten.

Insbesondere irren sich Philosophen, wenn sie sich auf das Gebiet der Psychologen verirren und Zusammenhänge zwischen menschlichem Verhalten und Umwelterkenntnissen konstruieren und dann auch noch in die Zukunft extrapolieren.
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

Berthold

CICERO 2.11.25

Über den Philosophen Richard David Precht - Dem Zeitgeist aufs Maul

Richard David Precht hat sich zu einem der wichtigsten Intellektuellen dieser Republik entwickelt. Auch begriffliche und argumentative Ungenauigkeiten des so genannten Philosophen ändern an seiner Relevanz nichts.

VON MATHIAS BRODKORB am 2. November 2025 7 min
Autoreninfo
Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

Wenn in der akademischen Philosophie der Name Richard David Prechts fällt, gehören hochgezogene Augenbrauen noch zu den harmlosen Reaktionen. Es wird als Beleidigung eines ehrenwerten Berufsstandes angesehen, dass Precht in der Öffentlichkeit für einen ,,Philosophen" gehalten wird. Das liegt auch daran, dass er eigentlich Literaturwissenschaft studiert hat und, wenn ich recht sehe, nur im Nebenfach Philosophie. Aber das ist nicht der entscheidende Punkt für die ausgreifende Abneigung.

Dabei ist es natürlich in gewisser Weise lächerlich, den Titel ,,Philosoph" von einem staatlichen Zertifikat abhängig zu machen. Gemessen daran wäre nicht nur Friedrich Nietzsche nie ein Philosoph gewesen, sondern auch Platon und Aristoteles nicht.

Das Problem erklärt sich durch die Tatsache, dass das Wort ,,Philosoph" mindestens auf zweierlei Weise gebraucht werden kann. Einmal als Berufsbezeichnung infolge eines Universitätsabschlusses. Demnach ist der Absolvent eines Studiengangs für Maschinenbau ein Maschinenbauer, für Elektrotechnik ein Elektrotechniker und der Absolvent eines Studiengangs für Philosophie eben ein ,,Philosoph".

Was ist ein Philosoph?
Im öffentlichen Sprachgebrauch sieht die Sache ein wenig anders aus. Da versteht man unter ,,Philosoph" einen Menschen mit tiefgehenden, systematisch geordneten Gedanken über Zustand und Grund der Welt. Das können natürlich auch Menschen sein, die Philosophie studiert haben, müssen es aber nicht. Denken auf hohem analytischen Niveau ist eine geistige Betätigung und kann nicht durch einen Zettel mit staatlichem Stempel garantiert werden.

Das ist aber nur das eine Problem. Bei Precht kommen noch ein paar weitere hinzu. Ihm wird vorgeworfen, regelmäßig über das Ziel hinaus zu schießen, also mehr zu behaupten, als er gut begründen kann. Das ist nicht falsch und gilt auch für sein aktuelles Buch ,,Angststillstand. Warum die Meinungsfreiheit schwindet".

Precht stellt sich in diesem Text wieder einmal gegen den veröffentlichen Mainstream. So war es schon vor zwei Jahren, als er gemeinsam mit Harald Welzer mit den etablierten Medien und deren Rolle für die real existierende Demokratie hart ins Gericht ging.

In seinem aktuellen Text nimmt er nun den empirischen Befund ernst, dass inzwischen mehr als die Hälfte aller Bürger meint, man könne in Deutschland nicht mehr gefahrlos seine Meinung sagen. Precht hält das in einer Demokratie für ein Alarmsignal. Mit Recht!

Vor allem die politische Linke dieses Landes wischt derartige Befunde allerdings meist mit dem Argument vom Tisch, dass ja jeder sagen könne, was er wolle, aber mit den Folgen leben müsse, also sozialer Ausgrenzung. Und genau gegen dieses perfide ,,Argument" reitet Precht an.

Da Demokratie ohne Meinungsstreit nicht möglich ist, ist die individuelle Äußerungsbereitschaft der eigentliche Motor einer jeden gut funktionierenden Demokratie. Wenn die sozialen Kosten der ,,subjektiven Meinungsfreiheit" (Richard Traunmüller) zu hoch werden, verstimmen aber die öffentlichen Stimmen und die ,,Selbstzensur" (Precht) schwingt den politischen Taktstock. Und Zensur, egal welche, erdrosselt das demokratische Gemeinwesen.

Bei dieser Argumentation stimmt jedes Komma. Erstaunlicherweise behauptet Precht allerdings zugleich, dass der Staat bei den aktuellen Repressionen in Sachen Meinungsfreiheit (fast) keine Rolle spiele. Wir lebten ,,seit Jahrzehnten" und noch immer in der Welt der ,,vorbildlichen liberalen Grundsätze der Bundesrepublik".

Neue Grenzen der Freiheit
Wer sich ein bisschen mit der Verschärfung der Meinungsgesetzgebung der letzten Jahre, mit der ausufernden Förderung von NGOs und Denunziationsportalen sowie der Arbeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz beschäftigt hat, wird dem kaum zustimmen können. Nicht immer steht Precht argumentativ auf festem Grund.

Ein drittes Problem kommt hinzu. So schmissig Prechts Thesen mitunter sind, so sorglos geht er manchmal mit Worten und Begriffen um. Für ,,echte" Philosophen ist das ein geradezu unästhetisches Phänomen. Eine Kostprobe hiervon gab Precht unlängst auf der Frankfurter Buchmesse im Gespräch mit Ijoma Mangold von der Wochenzeitung Die Zeit.

Precht sagte bei dieser Gelegenheit: ,,Jemanden zu canceln ist für mich Faschismus. ,Shitstorm' ist ein modernes Wort für ,Pogrome'. Ein anständiger Linker würde sowas nicht machen."  Satz Nummer zwei ist eines dieser Beispiele für schmissige, überhitzte Thesen. Und Satz Nummer eins dafür, dass es Precht mit Worten und Begriffen nicht immer so genau nimmt.

Was ist Faschismus?
,,Faschismus" ist ein Wort, das ein bestimmtes politisches Regime unter der Führung Benito Mussolinis und/oder dessen Ideologie bezeichnet. Natürlich ist es in Deutschland geübte Praxis, den Nationalsozialismus ebenfalls als ,,Faschismus" zu titulieren. Wer das tut, offenbart damit allerdings meist die eigene historische Unkenntnis.

Im Nationalsozialismus stand die Rasse im Vordergrund des politischen Denkens, im italienischen Faschismus der Staat. Man kann das bei Mussolini persönlich nachlesen: ,,(...) es liegt im Faschismus alles im Staate beschlossen. Nichts Menschliches oder Geistiges besteht an sich, noch weniger besitzt dieses irgendeinen Wert außerhalb des Staates. In diesem Sinne ist der Faschismus totalitär (...)." Aber das macht Cancel-Culture dennoch nicht ,,faschistisch".

Andere Meinungen zu unterdrücken und zu canceln ist illiberal und autoritär. Es handelt sich um ein politisch ,,neutrales" Machtinstrument, das sich zu allerlei Zwecken einsetzen lässt. Es kann von linken Bewegungen ebenso in Stellung gebracht werden wie von rechten. Und auch von religiösen Fundamentalisten. Im Grunde rümpfen die Historiker und Fachphilosophen zurecht die Nase, wenn sich Precht so oder vergleichbar unpräzise äußert.

Der Erfolg und die Neider
Nur: Wenn interessiert das eigentlich? Jeder Zuhörer am Stand der Buchmesse von Die Zeit wird verstanden haben, was Precht damit eigentlich sagen wollte. Wahrscheinlich ungefähr das: Wer sich für ,,links" hält und dann selbst zu den Mitteln desjenigen greift, den man angeblich aus moralischen Motiven bekämpft, ist ein moralischer Kretin.

Und wahrscheinlich ist letztlich auch das der Grund dafür, warum die akademischen Philosophen so unzufrieden mit der öffentlichen Anerkennung sind, die Precht entgegengebracht wird.

Er hat sich nicht nur zum wahrscheinlich erfolgreichsten deutschen Sachbuchautor im Bereich der Philosophie entwickelt, während die meisten so hart arbeitenden Philosophen dieses Landes die Käufer ihrer Bücher an wenigen Händen abzählen können. Das ist es, was sie vor allem wurmt: Wie kann es sein, dass ein Mann, der so lässig mit philosophischen Argumenten umgeht wie Precht, erfolgreich ist? Was stimmt an der Weltordnung nicht?

Wider den Zeitgeist
Ganz einfach: Was Precht schreibt, ist relevant. Und was Precht schreibt, fordert heraus. Beides gilt vor allem für die letzten beiden seiner Bücher. Im Unterschied zum Gros der akademischen Philosophie riskiert er etwas und legt sich mit dem Zeitgeist an. Welcher deutsche Philosoph wäre denn sonst bereit dazu, in aller Öffentlichkeit mit Recht zu behaupten, linke Meinungsunterdrücker seien insofern nicht besser als Faschisten? Allzu viele gibt es davon nicht.

Auch wenn das im Elfenbeinturm der Philosophie daher nicht gerne gehört werden wird: Precht hat sich zu einem der wichtigsten Intellektuellen dieser Republik entwickelt. Das liegt nicht daran, dass er an entlegener Stelle einen Fachaufsatz über den letzten gefundenen Notizzettel Immanuel Kants geschrieben und damit gezeigt hat, dass die synthetischen Urteile a priori doch ganz anders funktionieren, als Saul A. Kripke einst meinte.

Was Precht seit geraumer Zeit tut, ist, dem Zeitgeist genüsslich auf die Fresse zu hauen, wenn er meint, dass dieser falsch liegt. Und Precht trifft dabei öfter, als es einem trotz aller berechtigter Kritik eigentlich lieb sein kann. Und das alles ist viel wichtiger, also noch zehn weitere Lehrstühle für Philosophie an Deutschlands Universitäten einzurichten. Staatlich alimentierte Feiglinge haben wir schon genug.
 
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)