Das generische Maskulinum, die Gender-Ideologie

Begonnen von Berthold, 09.Jun.15 um 15:24 Uhr

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Muralis

Ich habe nicht vor, diese "zeitgerechte" bzw. "gendergerechte" Sprache in irgendeiner Form umzusetzen. Ob etwas zeitgerecht ist, sollten die Anwender entscheiden. Zeitgerechte Sprache darf und kann nicht von oben verordnet werden. Bei mir am Land spricht niemand diesen "zeitgerechten" Sprech (außer ein paar Entscheidungsträger, die von oben her gebrieft werden).

Sprache darf nicht von oben her verordnet werden, noch dazu von nicht dafür autorisierten Institutionen oder Medien. Man müsste bei jedem Satz während des Sprechens jedes einzelne Wort auf "politische Korrektheit" prüfen - nein danke! Wirklich eine seltsame Zeit, in der wir da leben...

Berthold

Zitat von: Muralis am 16.Jul.21 um 09:26 Uhr
Ich habe nicht vor, diese "zeitgerechte" bzw. "gendergerechte" Sprache in irgendeiner Form umzusetzen. Ob etwas zeitgerecht ist, sollten die Anwender entscheiden. Zeitgerechte Sprache darf und kann nicht von oben verordnet werden. Bei mir am Land spricht niemand diesen "zeitgerechten" Sprech (außer ein paar Entscheidungsträger, die von oben her gebrieft werden).

Sprache darf nicht von oben her verordnet werden, noch dazu von nicht dafür autorisierten Institutionen oder Medien. Man müsste bei jedem Satz während des Sprechens jedes einzelne Wort auf "politische Korrektheit" prüfen - nein danke! Wirklich eine seltsame Zeit, in der wir da leben...

Wolfgang, ich stimme Dir natürlich zu.
Allerdings muss es eine eindeutige Norm für die Sprache (und Schrift) geben, sonst reden alle Leute aneinander vorbei und es gibt Mord und Todschlag wie wie schon mal in Sodom und Gomorra hatten.
Auch kann kein Gericht mehr entscheiden, wer Recht hat, denn es weiss nicht, wer was wie gemeint hat.

Wer also setzt diese Norm für Schrift und Sprache verbindlich fest? Da habe ich noch keine klare Vorstellung.
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

Muralis

Zitat von: Berthold am 16.Jul.21 um 10:13 Uhr
Wolfgang, ich stimme Dir natürlich zu.
Allerdings muss es eine eindeutige Norm für die Sprache (und Schrift) geben, sonst reden alle Leute aneinander vorbei

Genau. Die eindeutige Norm für Sprache und Schrift existiert bereits. Die zuständigen Gremien haben diesen aktuellen Supergau nicht herbeigeführt und ursprünglich nichts verändert. Daher wäre diese zeit- bzw. gendergerechte Sprache, die von linksgesteuerten Kreisen bzw. Medien innerhalb kürzester Zeit ohne jedwede Beschlüsse der genannten Gremien (wie etwa bei der Rechtschreibreform) und ohne Konsens einfach eingeführt wurde, sofort zurückzunehmen. Das ist ja Anarchie, was da passiert.

Im ORF hat sich jetzt dieser "glottale Plosiv", den Tarek dort eingeführt hat, durchgesetzt. Furchtbar, diese Stotterei. Und wenn ich jetzt "schwarz" nirgends mehr verwenden darf, weil da Afrikaner diskriminiert werden könnten, wo soll das hinführen? Es wurde noch keine der unzähligen afrikanischen Sprachen dahingehend überprüft, ob da etwa irgendwo wir Europäer diskriminiert würden. Aber es ist mir auch herzlich egal, ob mich die irgendwo in Afrika diskriminieren.

orchis pallens

Zitat von: Muralis am 16.Jul.21 um 09:26 Uhr
Ich habe nicht vor, diese "zeitgerechte" bzw. "gendergerechte" Sprache in irgendeiner Form umzusetzen. Ob etwas zeitgerecht ist, sollten die Anwender entscheiden. Zeitgerechte Sprache darf und kann nicht von oben verordnet werden. Bei mir am Land spricht niemand diesen "zeitgerechten" Sprech (außer ein paar Entscheidungsträger, die von oben her gebrieft werden).

Sprache darf nicht von oben her verordnet werden, noch dazu von nicht dafür autorisierten Institutionen oder Medien. Man müsste bei jedem Satz während des Sprechens jedes einzelne Wort auf "politische Korrektheit" prüfen - nein danke! Wirklich eine seltsame Zeit, in der wir da leben...

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Blumen sind das Lächeln der Erde

orchis pallens

Ein göttlicher Kommentar zum Irrsinn der Gendersprache, ich habe schallend gelacht:

Alfons S.
vor etwa 18 Stunden
56 Empfehlungen

,,Heute früh im ORF beim Bericht über die Wehrpflicht auch für Frauen. Die Sprecherin: "Nur 4% der Soldatinnen sind Frauen." Da offenbart sich der ganze Irrsinn dieses Schwachsinns. Nach meinem Verständnis sind 100% der Soldatinnen Frauen. Ich begreife immer noch nicht, wie es eigentlich sein kann, dass ÖRR, Kommunen und Regierungen mit dem Bürger in einer "Nicht-Amtssprache" kommunizieren."

https://archive.ph/KndJx

Blumen sind das Lächeln der Erde

Ruediger

Zitat von: Muralis am 16.Jul.21 um 12:47 Uhr
Zitat von: Berthold am 16.Jul.21 um 10:13 Uhr
Wolfgang, ich stimme Dir natürlich zu.
Allerdings muss es eine eindeutige Norm für die Sprache (und Schrift) geben, sonst reden alle Leute aneinander vorbei

Genau. Die eindeutige Norm für Sprache und Schrift existiert bereits. Die zuständigen Gremien haben diesen aktuellen Supergau nicht herbeigeführt und ursprünglich nichts verändert. Daher wäre diese zeit- bzw. gendergerechte Sprache, die von linksgesteuerten Kreisen bzw. Medien innerhalb kürzester Zeit ohne jedwede Beschlüsse der genannten Gremien (wie etwa bei der Rechtschreibreform) und ohne Konsens einfach eingeführt wurde, sofort zurückzunehmen. Das ist ja Anarchie, was da passiert.

Im ORF hat sich jetzt dieser "glottale Plosiv", den Tarek dort eingeführt hat, durchgesetzt. Furchtbar, diese Stotterei. Und wenn ich jetzt "schwarz" nirgends mehr verwenden darf, weil da Afrikaner diskriminiert werden könnten, wo soll das hinführen? Es wurde noch keine der unzähligen afrikanischen Sprachen dahingehend überprüft, ob da etwa irgendwo wir Europäer diskriminiert würden. Aber es ist mir auch herzlich egal, ob mich die irgendwo in Afrika diskriminieren.

Man kann z.B. den Amtsträger der Mann ist als Frau Bürgermeisterin ansprechen, damit hat man seinen echten Spaß.
Wenn er widerspricht erklärt man kurz und bündig, man nennt alle nur noch weiblich, das hat man für sich so entschieden.

Da schaut der Gescheidle dann saudoof aus der Wäsche, man muß Idioten mit ihrer eigenen Idiotie schlagen.

Auch Briefe an Gender-Institutionen kann man so verfassen....

Bei Frauen kann man grundsätzlich natürlich nur noch alles männlich schreiben bzw. ansprechen.
Da ist die weibliche Herr Abgeordnete aber ganz erstaunt.
,, Die Deutschen haben eine Besessenheit, jede Sache so weit zu treiben, bis eine böse daraus geworden ist."

George Bernard Shaw (Nobelpreisträger für Literatur)

Muralis


Berthold

Zitat von: orchis pallens am 16.Jul.21 um 22:19 Uhr

,,Heute früh im ORF beim Bericht über die Wehrpflicht auch für Frauen. Die Sprecherin: "Nur 4% der Soldatinnen sind Frauen."

Welcher Mann möchte in so einer Armee dienen? :heul
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

Berthold

Aus der FAZ über die Sprache

EIN SCHRIFTSTELLER HAT GENUG:
Mein Abschied von Deutschland
VON MATTHIAS POLITYCKI-AKTUALISIERT AM 17.07.2021-13:37
Seit Thomas Mann München leuchten sah, ist der Süden des Sprachgebiets ein Zufluchtgebiet für Schriftsteller aus dem Norden. Matthias Politycki sucht nun in Wien nach Aufhellung.
Bildbeschreibung einblenden

Die Sprache ist mein Handwerkszeug, aber was ihr gerade widerfährt, ist für mich schwer erträglich. Deshalb weiche ich aus an einen Ort, der noch sprachliberal ist: Wien.

Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen so gründlich zu betreiben, bis alle schlechte Laune haben. Das war schon immer so, immer mal wieder. Trotzdem war ich mein Leben lang auf eine, heute würde man vielleicht sagen: postnationale Weise gern ein Deutscher und habe mich in Deutschland zu Hause gefühlt. In den letzten Jahren fiel mir das zunehmend schwerer. Daß ich nun Konsequenzen gezogen habe, hat nichts mit den Themen zu tun, die unser öffentliches Leben seit mehr als einem Jahr so lähmend begleiten. Oder allenfalls insofern, als der Lockdown auch mir jede Möglichkeit nahm, mich durch kleine Fluchten vor der grassierenden Unduldsamkeit vorübergehend in Sicherheit zu wiegen. Nun hilft nur noch die große.

Natürlich ist es keine wirkliche Flucht und erst recht kein Exil. Mit schwerem Herzen gehe ich gleichwohl. Ich weiß, was ich aufgebe. Und daß ich zwar von Deutschland Abschied nehmen kann, niemals jedoch von dem Deutschen, der ich bin. Als Schriftsteller, der von der Freiheit des Gedankens und der Schönheit der Sprache als seinen täglichen Grundnahrungsmitteln lebt, sehe ich jedoch keine Möglichkeit zu bleiben, mag ich durch diesen Schritt auch als Mensch fast all meine Vertrautheiten und Geborgenheiten verlieren.

Auch ich war einmal für Politische Korrektheit
Aufgewachsen in den linksgrünen Biotopen der siebziger Jahre, in denen alles mit allen ausdiskutiert wurde, habe ich Deutschland noch in den Neunzigern, heimgekehrt von dieser oder jener Reise, immer als eines der liberalsten Länder erlebt, in denen man leben konnte. Seit Nine-Eleven, um es an einem plakativen Datum festzumachen, ist jedoch auch bei uns die Intoleranz auf dem Vormarsch, dies freilich im Zeichen der Toleranz. Was unterm Schlagwort der politischen Korrektheit zügig Terrain gewann, hatte auch ich zunächst begrüßt, vielleicht weil ich es für linkes Gedankengut hielt. Was inzwischen, zusammengefaßt unterm Begriff Wokeness, unseren gesellschaftlichen Diskurs dominiert, ist für mich nichts weniger als Pervertierung linken Denkens. Es ist die Herrschaftsform einer Minderheit, die sich anmaßt, gegen den Willen der Mehrheitsgesellschaft die Welt nach ihrem Bilde neu zu erschaffen. Und dies mit aller Gründlichkeit, ein siebter Tag ist noch längst nicht abzusehen. Deutsch sein heißt, auch eine (ursprünglich) gute Sache so sehr ins Extrem zu treiben, bis sie ein böses Ende nimmt.
Wenn ich in diesem Frühjahr von meinem bevorstehenden Umzug erzählte, wurde ich nicht selten beneidet. Der Überdruß an unserem öffentlichen Gespräch, wenn man die Artikulation wechselweiser Ab- und Ausgrenzungen noch als solches bezeichnen will, scheint inzwischen weite Teile der Bevölkerung erfaßt zu haben, die Mitte der Gesellschaft. Wir halten uns selbst nicht mehr aus. Wie konnte es soweit kommen, daß selbst die, die zwischen den Extremen vermitteln und womöglich versöhnen könnten, auf Durchzug geschaltet haben? Und nur noch eines wollen: nichts mehr von alldem mitbekommen, gar nichts?

Was hat uns bloß so emotionalisiert und rabiatisiert?
Auch ich wollte es so. Aber mittlerweile will ich's nicht mehr, mein Abschied von Deutschland ist weder endgültig noch hundertprozentig. Es ist der Versuch eines Neuanfangs: Indem ich auf Abstand gehe, möchte ich aus einem anderen Gesichtswinkel zu verstehen suchen, was mit Meinesgleichen seit einigen Jahren los ist, was uns so emotionalisiert und rabiatisiert hat. Wenn wir so weitermachen, uns immer kleinteiliger voneinander abzugrenzen, fördern wir gewiß dies oder jenes, arbeiten damit aber immer weiter an der finalen Dekonstruktion unserer Gesellschaft. Wollen wir das?

Ich jedenfalls gehe auf Abstand, um wieder teilnehmen zu können – ich gehe ja nur nach Wien. Entscheidend ist freilich nicht die Entfernung, sondern die Grenze, die ich auf dem Weg dorthin überschreite. Was macht ein intellektuelles Leben aus? Was macht ein Leben als Abenteurer aus? Was macht ein Leben als Schriftsteller aus? Die Neugier, immer wieder Grenzen zu überschreiten.

So habe ich meine Reisen immer erlebt: nicht nur als Reisen ins Fremde, Andere, sondern auch als Reisen hinaus aus dem Eigenen. In den letzten Jahren spürte ich ein immer größeres Bedürfnis danach, ein Gutteil des Jahres war ich unterwegs, um sonstwo vom deutschen Wesen zu genesen. Um dort dann sofort wieder Lust am Debattieren zu gewinnen, am ungeschützten Gedankenaustausch, am Witz, der stets auf irgendjemandes Kosten geht und doch im gemeinsamen Gelächter mündet. Welch eine Freude, wenn sich anstelle postintellektueller Verstrahltheit plötzlich wieder der gesunde Menschenverstand äußerte, wenn man nicht aufgrund gewisser Schlüsselvokabeln beurteilt wurde, sondern anhand der Argumente, die man vorbrachte.

Die Selbstzerstörung der intellektuellen Republik
Aber in den Corona-Jahren 2020/21 habe ich, festgesetzt durch den Lockdown, die Selbstzerstörung unsrer intellektuellen Republik einmal ohne Zwischenschnitte und in voller Länge erlebt. Insbesondere den jakobinischen Eifer der Sprachreiniger und wie sie mit der Umbegreifung der Begriffe eine Umwertung aller Werte vornahmen. Was anfangs wie die Selbstbeschäftigung universitärer Eliten anmutete, entpuppte sich zusehends als systematisch betriebene Umerziehung; mittlerweile betätigt sich jeder Dritte von uns bei geringstem Anlaß als Fundamentalpädagoge. Das hat meine Hoffnung auf einen Neuanfang entschieden gedämpft.

Willkommenskultur für gefiederte Gäste: Als Matthias Politycki im Rundfunk hörte, wie man sich über die Rückkehr von ,,Störche und Störchinnen" freute, war das Maß voll.
Willkommenskultur für gefiederte Gäste: Als Matthias Politycki im Rundfunk hörte, wie man sich über die Rückkehr von ,,Störche und Störchinnen" freute, war das Maß voll. :Bild: dpa
Und eines Tages war es dann soweit. Über die ,,Bürger*innenmeister*innen" hatte ich noch den Kopf geschüttelt, die Entdeckung der versteckten weißen Vorherrschaft, die in der Gleichung 2+2=4 steckt, als Zeitungsente abtun wollen. Dann las ich das Editorial eines Newsletters, in dem die Rückkehr der ,,Störchinnen und Störche" aus dem Winterquartier vermeldet wurde. Reflexhaft fragte ich mich: Und was ist mit Fröschinnen und Fröschen, Krötinnen und Kröten und all den andern Tierinnen und Tieren? Machen sie sich nicht auch in diesen vorfrühlingshaft milden Tagen auf den Weg? Und müßten sie also nicht ebenfalls Erwähnung finden, um der bunten Vielfalt gerecht zu werden und wirklich alle in dieser frohen Botschaft mitzunehmen? Allen Ernstes begann ich, ein Gedicht darüber zu schreiben, und erst als ich in den Schlußversen Autofahrende, Radfahrende und Fußgehende bat, achtsam mit querendem Getier umzugehen, merkte ich: Ich war drauf und dran, selbst verrückt zu werden, wenn ich noch länger versuchen wollte, gegen die Verrücktheiten unsrer Zeit anzugehen.

Was sich im Lauf der Zeit als Unbehagen angestaut hatte, entlud sich in plötzlicher Ernüchterung: Hier weiterhin mit Argumenten – oder Gedichten – dagegenzuhalten, ist für den, der Geist und Sprache liebt, entwürdigend.

Was mich verdächtig macht
Aber für einen Schriftsteller ist Schweigen auf Dauer keine Option; selbst wenn er weiß, daß jede seiner Wortmeldungen ins Gegenteil verdreht werden kann, er muß schreiben. Heikel! Bin ich als Vertreter einer privilegierten Gesellschaftsschicht, was immer ich schreibe, neuerdings nicht von vornherein im Unrecht? Auch die Stoffe meiner Romane machen mich verdächtig: Was darin gestern noch als Weltoffenheit geschätzt wurde, könnte heute als kulturelle Aneignung empfunden und für unstatthaft erklärt werden; was gestern noch Vermittlung zwischen den Kulturen war, könnte heute als strukturell rassistisch moniert werden.

Wenn nicht mehr jeder jeden Text schreiben darf, wird auch bald nicht mehr jeder jeden Text lesen oder hören dürfen. Noch immer reibe ich mir die Augen, wenn ich von einem weiteren Erfolg der Cancel Culture lese, doch nie entpuppt sich die Meldung als Satire. Cancel Culture versteht keinen Spaß, Cancel Culture versteht nur sich selbst.

Am heikelsten jedoch ist mein Arbeitsmaterial geworden. Kann man in der Sprache, wie sie der Zeitgeist fordert, überhaupt noch – aus dem Vollen schöpfend, nach Wahrhaftigkeit strebend – literarische Texte verfertigen? Nämlich als einer, der noch immer in alter Rechtschreibung schreibt, einfach weil sie klarer und schöner ist, und der aus denselben Gründen erst recht nicht vom generischen Maskulinum lassen will?


Die sprachlichen Neuregelungen vernichten meinen Stil
Würde ich, wie es die bevorstehende Neuedition des Duden offenbar vorsieht, zukünftig bei jedem Substantiv zwischen männlicher und weiblicher Endung abwägen müssen, es würde den Fokus immer wieder vom Wesentlichen des Textes abziehen und, nicht zuletzt, den Rhythmus der Satzperioden durch überflüssige Silben beschädigen.

Tue ich es nicht, werden aus meinem Text Signale herausgelesen, die ich nie hatte setzen wollen. Der Verzicht aufs generische Maskulinum geht mit einer Aufhebung der Neutralität der Worte einher; die Sprache, die der Zeitgeist demnächst vielleicht auch von meinen Texten verlangen wird, hat ihre Unschuld verloren. Sie ist nun eine von vornherein ideologisierte. Damit dient sie nicht mehr dem Transport von Inhalten, sondern ist selbst Inhalt. Sie sendet permanent Botschaften, die in Konkurrenz zu all den Botschaften stehen, wie sie etwa in Metaphern mitschwingen oder im Raum zwischen den Zeilen. Jene Botschaften wiederum stehen pars pro toto, schon der Gebrauch einer einzigen geschlechtergerechten Formulierung signalisiert eine Haltung, der Verzicht darauf desgleichen. Wer könnte in einer solch weltanschaulich kontaminierten Sprache noch unbeschwert drauflosschreiben?

Aber natürlich kannst du das! versichern mir meine Freunde: Phantasie darf alles, ein literarischer Text muß sich an keinerlei Vorgaben halten. Auch nicht an die, die wir im Alltag gerade so vehement durchsetzen? Warum werden dann so viele Werke der Weltliteratur neu übersetzt, um sie nebenbei den aktuellen moralischen Standards anzupassen? Und vor allem: Ist die Sprache, wie ich sie im Alltag höre, nicht der Fundus, aus dem ich meine literarische Sprache herausdestilliere? Nein, es gibt keine zwei Sprachen, gibt kein richtiges Sprechen im falschen.

Was das deutsche Neusprech charakterisiert
Das werden Leser, die literarische Texte auch ihrer Sprache wegen lieben, bald bemerken. Schon heute besteht unsre neue Alltagssprache, jedenfalls deren öffentlich geäußerter Teil, aus den immergleichen Textbausteinen, die den Sprecher in alle erdenklichen Richtungen absichern sollen. Mag sie so korrekt sein wie nie zuvor in ihrer jahrhundertelangen Geschichte, als Arbeitsmaterial eines Schriftstellers taugt sie nicht. Sie kaschiert, statt zu benennen, sie bläht Satzstrukturen auf, statt sie schlank und schnell und musikalisch zu halten, sie nötigt ständig zu Gedanken, die man im Fluß der Darstellung gar nicht denken will, und zur Wahl gewisser Worte, die man für kraftlos und unpoetisch hält.

Weil ich ebenjene Sprache, wie sie früher nur Politiker und Festredner verwandten, seit Beginn des Lockdowns tagtäglich hören mußte – schließlich lebe ich nicht nur medial, sondern auch ganz konkret in meiner linksgrünen Blase –, ist mir jede Freude an der Sprache abhandengekommen. Und weil ich nicht aus Frust, sondern nur aus Lust arbeiten kann, habe ich aufgehört zu schreiben.


Schon seit einigen Jahren hatte ich einen beträchtlichen Teil meiner Kreativität darauf verwenden müssen, mithilfe mehrerer sensitivity readers abzuwägen, welche Vokabeln besser aus dem Geschriebenen gestrichen werden sollten und welcher Halbsatz, aus dem Zusammenhang gerissen, womöglich gegen mich verwendet werden könnte. Schon das war unerquicklich. Mittlerweile geht es nicht mehr nur um die Details eines Textes, sondern auch ums Ganze: um den Autor, der ihn verfaßt; um das Thema, das er bearbeitet; um die Sprache, die er verwendet – wobei stilistische Qualitäten oft nurmehr am Rand von Interesse sind. Ein Problem, das umso größer wird, je sorgfältiger man es einzugrenzen sucht.

Auch als Schriftsteller bin ich Teil einer Minderheit, freilich einer, deren Rechte (auf Unversehrtheit der Sprache, auf weltanschauliche Neutralität der Sprache) im identitätspolitischen Wettstreit um Aufmerksamkeit nicht zählt. Ich kann nur das tun, was ich überall auf der Welt beobachtet habe, wo Minderheiten unter dem Deckmantel eines ,,demokratischen Prozesses" von der herrschenden Mehrheit verdrängt werden (wobei es in unserem Fall ja eine Minderheit ist, die die Mehrheit aus dem Diskurs drängt): Ich kann ausweichen.

Was ich in Wien zurückgewonnen habe
Durch meinen Umzug nach Wien habe ich die Sprache, die ich tagtäglich um mich brauche, nicht verloren; im Gegenteil, ich habe sie hier in unversehrterer Form wiedergefunden. Und durch die charmant süffisante Wiener Art, sie zu sprechen, ein großes Vergnügen dazugewonnen. Bereits im Süden Deutschlands, wo der Katholizismus noch als Kulturkatholizismus überlebt, wird der sprachreinigende Furor des protestantischen Nordens kräftig gemildert; in Österreich kommt der Schmäh und der Schlendrian Kakaniens dazu, der noch jede Ideologie durch Wortwitz und Wurschtigkeit kleingekriegt hat.

Bekanntlich passiert in Wien alles fünfzig Jahre später; überambitioniertes Reformertum, in Bayern als ,,Gschaftlhuberei" abgetan, wird hier als Neurose diagnostiziert. Im Ernst: In Wien ticken die Uhren anders, hier klingt noch vieles so, wie es früher auch in Deutschland klang. Schon jetzt, kurz nach meinem Umzug, verfolge ich Nachrichten aus der alten Heimat wieder mit Freude. Und ich schreibe wieder, meine Lust an der Sprache ist zurück

Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

Ahriman

Also wenn in Wien sprachlich noch alles (halbwegs) in Ordnung sein soll steht es um den Rest der westlichen Welt wirklich schlecht...
Der ORF ist ja Vorreiter im politisch korrekten Neusprech.

Berthold

Ich wunder mich ebenso etwas über den Artikel. In Wien gab es doch auch die ersten diversen Ampelfiguren im Strassenverkehr.
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

Ahriman

Es stimmt aber sicher dass die Österreicher ebenso wie die verwandten Bayern nicht zu übermäßig puritanischer Korrektheit neigen wie das protestantische Mittel- und Norddeutschland. Man lässt sich hier ungern sagen wie man was zu tun hat und hängt überdies am Althergebrachten. War immer schon so, soll auch so bleiben :yes


Berthold

Zitat von: orchis pallens am 19.Jul.21 um 21:29 Uhr
ZDF Umfrage

Riesige Mehrheit gegen Gendersprache in den Medien


:thumb und ich wollte schon verzweifeln.
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

orchis pallens

Glücklicherweise favorisiert hier im Forum auch kaum jemand diesen Schreibstil :thumb
Blumen sind das Lächeln der Erde