Entflaschung (Pikieren) von Erdorchideen

Begonnen von Berthold, 23.Feb.09 um 14:00 Uhr

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Berthold

1. Allgemeines
2. Substrate
3. Pflege der Sämlinge
4. Pikierzeitpunk
5. Symbiotisch und asymbiotisch gezogene Sämlinge
6. Schwierige Arten


1. Allgemeines

Die Entnahme der Sämlinge aus der sterilen oder nur mit Mykorrhiza-Pilz infizierten Flasche und das Umsetzen in ein Substrat der nicht sterilen Welt möchte ich dem allgemeinen Sprachgebrauch folgend als ,,Pikieren" bezeichnen.
Die Phase der Sämlinge nach dem Pikieren ist oft die kritischste und schwierigste in ihrem Leben, da sie erstmalig den parasitierenden Pilzen und Mikroorganismen ausgesetzt werden.
Offensichtlich besitzen die meisten Erdorchideenarten eine grössere genetische Variationsbreite, die es ihnen erlaubt, sich an unterschiedliche Umweltbedingungen anzupassen. So ist es nicht verwunderlich, dass nicht alle Sämlinge nach dem Pikieren mit den Bedingungen in einem bestimmten Substrat zurecht kommen. Man kann also in diesem Stadium eine Selektion der Pflanzen nach ihrer Robustheit durchführen und sollte sich nicht bemühen, noch den kleinsten Sämlingskrüppel am Leben zu erhalten.


2. Substrate

Die Sämlinge besitzen in dem Gel der Flasche eine grosse Kontaktoberfläche, über die sie durch Diffusion Nährstoffe aus der Umgebung aufnehmen können. Das Pikiersubstrat soll deshalb entsprechend fein granuliert sein, damit grosse Teile des Sämlings guten Kontakt zum Substrat finden können. Da hilft ein leichtes Einschlemmen der Sämlinge nach dem Einsetzen.
Weiterhin sollte das Gel am Sämling nicht entfernt werden, da es ebenfalls den Kontakt zum Pikiersubstrat verbessert. Unter Umständen kann das Gel allerdings auch als Angriffsmedium für Infektionen dienen.
Ich verwende als Pikiersubstrate
-   Neudohum Pflanzerde (sehr hoher Nährstoffgehalt, Glomuspilze mit gewisser Schutzwirkung auf die Sämlinge vor Fremdinfektionen)
-   Kokohum, versetzt mit Glomus-Pilz (niedriger Nährstoffgehalt)
Rein mineralische Pikiersubstrate aus Seramis, Sand und Bims hatten sich als nicht geeignet gezeigt, da die Feuchtigkeit in der oberen Substratschicht nicht gleichmässig zu regulieren war. Ausserdem zeigten sich starke Infektionen bei den Sämlingen.

 
3. Pflege der Sämlinge 

Die Sämlinge werden in die obere Substratschicht eingesetzt und leicht eingeschlemmt, sodass etwa 2/3 des grünen Blattaustriebes aus dem Substrat ragt. Der Topf wird komplett in einen Klarsichtbeutel gehüllt und bei Zimmertemperatur und gutem Licht aufgestellt. Der Beutel hält die Luftfeuchtigkeit um die Pflanze nahe am Taupunkt und ausserdem schützt er  in gewissem Umfang vor Infektionen aller Art von aussen.


4.  Pikierzeitpunkt

Je grösser die Sämlinge sind, desto leichter ist der Anwachs- und Überlebenserfolg im Pikiersubstrat. Dennoch lassen sich auch kleine Sämlinge mit Erfolg pikieren. Die Minimalgrösse ist für mich ein mindestens 10 mm langes grünes Blatt.
Der Sämling sollte sich im ersten drittel seines Wachstumszyklusses befinden. Im Wachstumszyklus ist die Zellstruktur straff und damit robust gegenüber Infektionen von aussen.
Das Blattgrün, das in der Flasche gewachsen ist, ist meistens wertlos für die Photosynthese im Pikiersubstrat. Es zieht meistens ein und bildet einen hervorragenden Angriffspunkt für Infektionen. Das liegt daran, dass die Pflanze bei der hohen Luftfeuchtigkeit in der Flasche nicht über das Blattgrün Wasser verdunsten kann. In normaler Umgebung wird über die Blätter Wasser verdunstet. Dadurch entsteht ein Konzentrationsgefälle in der Pflanze und durch osmotische Kräfte wird Wasser von unten nach oben gesaugt. Hierbei werden wesentliche Stoffe mit in die Blattsubstanz transportiert, was die Blätter stabil macht.
Deshalb sollte nie zu lange mit dem Pikieren gewartet werde, wenn die Pflanze beginnt im Glas zu wachsen. Die Frage ,,sie wächst gerade so schön, warum soll ich sie jetzt rausholen" ist damit beantwortet.
Bei einigen Orchideenarten sind Kühlphasen einzuhalten, um die neue Wachstumsphase einzuleiten. Diese Kühlphase ist sicherer im sterilen Glas zu überstehen als im Pikiersubstrat.


5. Symbiotische und asymbiotisch gezogene Sämlinge

Vom Grundsatz sehe ich keinen Unterschied für das Pikieren der mit oder ohne Pilze gezogenen Sämlinge. Symbiotisch gezogene Sämlinge sollten mit mehr Gel an der Pflanze pikiert werden, da das Gel Mykorrhiza-Pilze enthält, die in geeignetem Pikiersubstrat ihre Orchideenernährung noch eine gewisse Zeit fortsetzen können. Nach meinen Erfahrungen sind die symbiotisch gezogenen Sämlinge deutlich besser nach dem Pikieren weiter gewachsen als asymbiotisch gezogene Sämlinge.


6. Schwierige Arten

Unter schwierigen Arten verstehe ich Arten, die von Natur aus sehr infektionsanfällig sind und die zum Überleben in der Natur dringend Schutzpilze benötigen oder in extreme pH-Wert-Bereiche vor den Parasiten flüchten müssen (Cypripedium acaule).
Eine gängige der schwierigen Arten scheint Dactylorhiza sambucina zu sein. Sie überlebt in einer Lehm/Sandmischung kaum, in einem Neudohum-Substrat allerdings sehr gut.
Wie Claus jetzt rausgefunden hat, scheint die Lehm/Sandmischung auch geeignet, wenn sie vorher sterilisiert wird. Es scheint also, dass die natürlich in dieser Mischung vorhandenen Infektionskeime ausreichen, die Sämlinge umzubringen, während die in Neudohum bereits vorhandenen Pilze eine ausreichende Schutzwirkung auf die Sämlinge ausüben.


Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

Claus

Berthold,
das mit der Schutzwirkung der Pilze, ist das irgendwo nachgewiesen?

Claus
Wer Chemiker werden will, muss Chemie studieren; wer Jurist oder Arzt werden will, muss Jura oder Medizin studieren. Aber um Politiker zu werden, ist lediglich das Studium der eigenen Interessen notwendig. (Max O'Rell)

Berthold

#2
Zitat von: Claus am 02.Mär.09 um 22:13 Uhr
Berthold,
das mit der Schutzwirkung der Pilze, ist das irgendwo nachgewiesen?

Claus

Claus, ich benutze den Begriff "Schutzwirkung" als Sammelbegriff für einen positiven Effekt auf das Gedeihen meiner Erdorchideen in Topfkultur. Was im einzelnen dahinter steckt durchschaue ich nicht.

Es scheint aber so zu sein, dass in dem Substrat sich in den ersten 5 Monaten deutlich seltener fremde Pilze oder anaerobe Bakterien ansiedeln, die die Orchideenknollen verstoffwechseln.
Bei den von mir früher verwendeten torfhaltigen Standardblumenerden war das nicht der Fall. Eine Mischung aus 30% Standard-Torfblumenerde und 70 % Mineralbestandteile hat meine Kulturen bis März auf bis zu 30 % der Pflanzen reduziert. Reine Mineralsubstrate waren da geringfügig besser. Deshalb wurde früher in der Literatur vor der Verwendung von organischen Bestandteilen im Substrat gewarnt. Alle meine südafrikanischen und australischen Orchideen sind allerdings in reinen Mineralsubstraten auch nach spätesten 4 Monaten komplett verfault.

Eine Mischung aus Mineralsubstraten mit ca. 30% Holzhäxelmulch aus dem Garten, das mit Myzel eines Ständerpilzes durchwachsen war, hat ebenfalls gute Kulturerfoge bei adulten Pflanzen gezeigt, die Mischung aus Mineralsubstrat und Rindenhumus allerdings nicht. Deshalb nehme ich an, dass ein aktiver Pilz im Substrat eine wesentliche Rolle für die Orchideengesundheit spielt, einmal durch Fernhalten andere Pilze und durch Produktion von Antibiotika um Bakterien fernzuhalten. Wenn es dem Pilz allerdings zu gut geht verspeist er auch die Orchideenknolle selber. Das System aus Orchideenknolle, Pilz, Mikroorganismen und Nährstoff/Feuchtigkeitsangebot befindet sich in einem sensiblen Gleichgewicht, das bei kleiner Störung zur Vernichtung der Knolle führen kann. Deshalb ist es besser, die Orchidee im asymbiotischen Glas zu lassen und dort zum Blühen zu bringen.
 
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

Claus

Zitat von: Berthold am 02.Mär.09 um 23:27 Uhr
Deshalb ist es besser, die Orchidee im asymbiotischen Glas zu lassen und dort zum Blühen zu bringen. 

Berthold,
das wäre doch auch eine völlig neue Marketingidee, da müsste doch unser liber Gast Limbo sofort anspringen.  :blume :blume :blume Mal schnell zum Patentamt!  :wacko :wacko :wacko

Claus
Wer Chemiker werden will, muss Chemie studieren; wer Jurist oder Arzt werden will, muss Jura oder Medizin studieren. Aber um Politiker zu werden, ist lediglich das Studium der eigenen Interessen notwendig. (Max O'Rell)

Jeanne

Gestattet Ihr dem Laien ein paar Fragen zu stellen ohne ihn zu köpfen?

1. Für den Kommerz ist es sicher ratsam eine Selektion der Pflanzen nach ihrer Robustheit durchzuführen, aber so im privaten Aufzuchtbereich findet man ja auch die "bébés lutteurs", die wohl sehr viel länger brauchen um an ihre Geschwister heranzureichen jedoch interessante Erfahrungswerte bringen, oder?

2.Da man bei asymbiotisch gezogenen Sämlingen das Gel nach dem Entflaschen nicht entfernt, sollte man es bei symbiotisch gezogenen Pflanzen dann entfernen?

3. Berthold schreibt: Der Beutel hält die Luftfeuchte um die Pflanze nahe am Taupunkt. In dieser Atmosphäre kann aber wohl kaum viel Wasser von den Blättern verdunstet werden. Werden die Blätter trotzdem stabil?

Salutations
Jeanne

Berthold

Zitat von: Jeanne am 03.Mär.09 um 00:19 Uhr
Gestattet Ihr dem Laien ein paar Fragen zu stellen ohne ihn zu köpfen?


2.Da man bei asymbiotisch gezogenen Sämlingen das Gel nach dem Entflaschen nicht entfernt, sollte man es bei symbiotisch gezogenen Pflanzen dann entfernen?


3. Berthold schreibt: Der Beutel hält die Luftfeuchte um die Pflanze nahe am Taupunkt. In dieser Atmosphäre kann aber wohl kaum viel Wasser von den Blättern verdunstet werden. Werden die Blätter trotzdem stabil?

Salutations
Jeanne

wegen einer Frage ist selten jemand geköpft worden, meistens wegen einer Antwort.


Bei symbiotischen Sämlingen sollte man noch eher Gel dran lassen, weil da der Pilz drin sitzt und noch weiter wachsen und versorgen kann (war oben erwähnt)


Unter dem Beutel ist die Luftfeuchtigkeit etwas geringer als in der Flasche. Man sollte sie langsam auf Normalmass reduzieren, damit sich der Stoffwechsel langsam anpassen kann.
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

Berthold

Zitat von: Claus am 02.Mär.09 um 22:13 Uhr
Berthold,
das mit der Schutzwirkung der Pilze, ist das irgendwo nachgewiesen?

Claus

noch mal ergänzend:

Tassos, Grieche, wohnhaft auf Korfu, hat in seinem Garten griechische Erdorchideen in Substrat vom Naturstandort gepflanzt.
Er hat sich NH Pflanzerde von einem deutschen Bekannten schicken lassen und gegen meinen Rat einige in reine NH Pflanzerde im Garten gesetzt.
In diesem dort ungewöhnlich kühlen und feuchten Winter dort sind alle abgefault, bis auf die in NH Pflanzerde. Am Mangangehalt wird es nicht gelegen haben, das möchte ich für Manfred erwähnen.
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

Mr. Kaizer

Die Schutzwirkung von Pilzen gegenüber Pathogenen ist zumindest für die Mykorrhiza nachgewiesen. Hier mal ein Zitat von folgender Seite:
http://www.biologie.uni-hamburg.de/b-online/d33/33b.htm
Wie schon FRANK richtig erkannte, dient der Pilz dem Baum, indem er ihn mit in Wasser gelösten Mineralien versorgt. Darüber hinaus zeigte sich, daß der Pilzmantel auch einen Schutz vor parasitischen Erdpilzen (Hallimasch, Wurzelfäule, Phytophthora u.a.) bietet. Der Schutz beruht in einigen Fällen auf einer von der Pflanze erworbenen, durch den Pilz induzierten Resistenz, die an der Produktion von Abwehrstoffen (phenolischen Verbindungen) erkennbar ist. Mykorrhizapilze sondern oftmals Phytohormone aus, die das Wurzelwachstum beeinflussen. Das Wurzelsystem und Pilzmycel sind zusammen für die Ausbildung einer Rhizosphäre verantwortlich, in der sich die Lebensbedingungen von denen in der Umgebung unterscheiden; so ist die Rhizosphäre fast immer bakterienreicher als die übrigen Bodenregionen.

Ich würde mal ganz vorlaut vermuten, daß da im Substrat ganz ähnliche Faktoren eine Rolle spielen könnten, auch wenn keine Mykorrhiza eingegangen wird. Das halte ich zumindest nicht für undenkbar.
Vielleicht hält der Pilz in seinem Substrat auch nur (bestimmte) Pathogene in Schach, und die Pflanze wird ganz nebenbei mitgeschützt. Ich denke so ungefähr denkt sich auch Berthold die Schutzwirkung.

Tja, eine Facharbeit zu dem Thema würde ich trotzdem mal gerne lesen.

Gruß
Robert

Rhodosfreund

Hallo Michael,
du schreibst von Deinen O. apifera Sämlingen. Ich habe vor einigen Wochen auch eine Aussaat gemacht. Es sind auch sehr viele Protokorme zur Entwicklung gekommen. Da die Protokorme kaum noch größer werden (es bildeten sich jedoch viele kleine   Wurzelhaare) und auch kein Blatt sowie Blattgrün zu sehen ist, erhebt sich die Frage ist das normal und ab wann kann ich in Flaschen auspikieren (Bisher sind sie in Reagenzgläsern).
Kannst Du mir Tipps geben, wie ich mit den Protokormen verfahren soll.

Gruß

Achim

Charlemann

Hallo Achim,

unter normalen Umständen hätte ich meine nochmal umgelegt.
Wenn in Deinen Gläsern nichts von Verkeimungen zu sehen ist, würde ich das auch auf jeden Fall nochmal tun.
Bei mir war halt ein Schimmel in einem Glas und da musste ich eben handeln.
Umlegen in ein anderes Glas wär mir zu aufwändig gewesen, da ja Schimmel im Glas war.
Das ginge evtl. schon aber die Chemiepanscherei damit die Protokorme wieder "clean" werden ist schon ein enormer Aufwand.
Das was ich jetzt gemacht habe, ist bzw. war nur ein Versuch. Der aber offensichtlich funtioniert.
In Deinem Fall würde ich nochmal umlegen, je später und grösser die Sämlinge sind, desto besser sind die Erfolgschancen.

Volzotan

#10
Normalerweise bildet apifera ohne Probleme Blätter, da brauchts keine Kälteperiode oder sowas.
Als Protokorme mit Triebspitze kann man sie das erste Mal umlegen, dann wachsen die rasch weiter. Welchen Nährboden hast du verwendet?

Gruß Volzotan

Rhodosfreund

Hallo Volzotan,
ich habe den bewährten Nährboden von Claus genommen. Verpilzt ist noch nichts. Die Protokorme sind auch noch recht glasig; ich denke einmal ich erwarte einfach zu viel von den Sämlingen.

Gruß

Achim

Volzotan

Das denke ich auch Achim, die Sämlinge die ich da gezeigt habe sind nämlich auch auf Claus Nährboden und sie sind seit Jannuar sehr gut gewachsen.

Gru? Volzotan

Charlemann

Volzotan,

das was Du da in den Gläsern hast, wäre allerdings bei mir schon lange im Topf.
Das ist entschieden zu gross!

Berthold

Es hat sich als sehr günstig heraus gestellt, wenn man beim Pikieren einen dicken Batzen Gel am Protokorm belässt



Bei der symbiotischen Kultur findet der Übergang von der Ernährung durch den Pilz zur selbständigen Ernährung allmählich statt. Ausserdem arbeitet der Pilz nach dem Pikieren noch eine Zeit lang weiter an der Protokormernähnrung.

Bei der asymbiotischen Kultur ist mit etwas Gel am Protokorm der Kontakt zum Substrat besser, aber Vorsicht, bei manchen Pikiersubstraten können sich am Gel Infektionspilze festsetzen.
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)