Stürzende Linien bei Architekturfotografie

Begonnen von Eerika, 12.Apr.11 um 17:56 Uhr

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Zeppi

Zitat von: Berthold am 13.Apr.11 um 14:22 Uhr
aber was will man da überhaupt entzerren. Das optische Bild ist doch real.

Na ja, real ist relativ. Das menschliche Auge entspricht ca. einem 50 mm Objektiv. Bei kleineren Brennweiten können die Bilder unnatürlich wirken, wenn Stützlinien (waagerechte / senkrecht) im Bild laufen, die werden am Rand nämlich gekrümmt. Extremes Beispiel ist das Fischaugenobjektiv. Dessen Bild ist zwar real, wirkt aber unnatürlich.

Bei dem Fall der stürzenden Linien bei Gebäuden etc. haben wir ein anderes Problem: in der Realität gleicht das Gehirn diese aus, da es weiß, dass die Linien in Wirklichkeit senkrecht sind. Der Fluchtpunkt wird ausgeglichen. Bei einem Bild ist das nicht möglich, weil die Bild-/Monitorränder nicht mehr zum Bildinhalt passen. Der Fluchtpunkt des Bildes passt nicht zur realen Umgebung.
Bei großen Bildern (Postern) tritt der Effekt übrigens nicht mehr auf, wenn man nah genug heran geht.



Grüße ... Ricci

Reinhold

@Zeppi

Was wir sehen, ist das Ergebnis einmal einer technischen Abbildung auf der Netzhaut. Das ist vergleichbar mit dem Fotoapparat. Aber dann kommt die Wahrnehmung, die Interpretation, des "objektiven" Bildes durch unser Gehirn.

Interessant, warum funktioniert das nur im 3-D-Raum mit unserem Augenpaar und dem nachgeschalteten Hirn? Nicht aber, wenn ich ein verzerrtes Foto anschaue? Oder gibt da Grenzen?

Gruß
LI.

Im Forum steht alles; auch das Gegenteil.

Zeppi

Zitat von: Lilith am 13.Apr.11 um 15:48 Uhr
Interessant, warum funktioniert das nur im 3-D-Raum mit unserem Augenpaar und dem nachgeschalteten Hirn? Nicht aber, wenn ich ein verzerrtes Foto anschaue? Oder gibt da Grenzen?

Habe ich doch geschrieben, war das unverständlich?
Grüße ... Ricci

Reinhold

Zitat von: Zeppi am 13.Apr.11 um 16:15 Uhr
Zitat von: Lilith am 13.Apr.11 um 15:48 Uhr
Interessant, warum funktioniert das nur im 3-D-Raum mit unserem Augenpaar und dem nachgeschalteten Hirn? Nicht aber, wenn ich ein verzerrtes Foto anschaue? Oder gibt da Grenzen?

Habe ich doch geschrieben, war das unverständlich?


Solche Lehrer mag ich...
Im Forum steht alles; auch das Gegenteil.

Daz

Lightroom hat eine umfangreiche Datenbank für Objektivkorrekturen. Mit ein Grund, warum ich es so gerne verwende; einfach das entsprechende Objektiv auswählen und schon sind Verzerrungen und Farbränder fast wie weg gewischt :yes

Zeppi

@Lilith
Wenn du in Natura vor der Burg stehst und nach oben schaust, hast du einen Fluchtpunkt, der irgendwo bei 45° Höhe liegt. Da das Gehirn von der Parallelität der senkrechten Kanten weiß, wird dir die Verzerrung nicht bewußt.

Sitzt du dagegen vor deinem Monitor, liegt der reale Fluchtpunkt in der Ebene bei 0°. Die senkrecht dazu stehenden Kanten deines Monitors und anderer Gegenstände im Raum werden auf deiner Netzhaut parallel abgebildet, eine Korrektur durch das Gehirn ist also nicht notwendig. Das Bild von der Burg mit seinem erhöhten Fluchtpunkt wirkt nun unnatürlich, da die (eigentlich senkrechten, parallelen) Kanten nicht zur Realität passen. Das Gehirn kann halt nicht zwei Fluchtpunkte erfassen und ggf. korregieren. Ergebnis: stürzende Linien.


Hier noch ein paar Links zum Thema:

http://www.photographie.de/page.php?modul=Article&op=read&nid=34&rub=16
http://www.hjklemenz.ch/bildgestaltung/stuerzende_linien/index.php

Grüße ... Ricci

Reinhold

@Zeppi
Ich hatte mir die Mühe gemacht, den Fluchtpunkt der Gebäudekanten auf dem Burgfoto einzuzeichnen.
Er liegt etwa in Augenhöhe des Fotographen, nicht des Bildbetrachters (auf den Bildinhalt bezogen) und etwas links der Bildmitte.
Nun gut, diese Dinge sind deswegen interessant bis verwirrend, weil der Betroffene mehr oder weniger unter Unkenntnis des physikalischen Gegebenheiten leidet.

Deswegen sei Dir gedankt, daß Du Dir nochmal die Mühe machst.

Also, wie ist es dann, rein theoretisch zunächst: kann man aus einer Zentralprojektion durch "Entzerrung" tatsächlich eine Parallelprojektion machen?
Oder gehen durch die Zentralperspektive-Abbildung Einzelheiten verloren, die nicht mehr wiederhergestellt werden können? Etwa, wenn Objekte sich überdecken?
Ich vermute, die Entzerrung kann dann nicht vollständig gelingen.

Was sagst Du Zeppi?

Gruß
LI.

Im Forum steht alles; auch das Gegenteil.

Zeppi

Zitat von: Lilith am 13.Apr.11 um 17:59 Uhr
Oder gehen durch die Zentralperspektive-Abbildung Einzelheiten verloren, die nicht mehr wiederhergestellt werden können? Etwa, wenn Objekte sich überdecken?
Ich vermute, die Entzerrung kann dann nicht vollständig gelingen.

Korrekt, das ist der Schwachpunkt der Entzerrung. Man verändert seinen Standpunkt, sieht aber nicht, was man von diesem scheinbaren Punkt aus gesehen hätte.
Grüße ... Ricci

Zeppi

Zitat von: Lilith am 13.Apr.11 um 18:40 Uhr
Huch, das weiß ich fast selbst nicht.
Der Zeppi wird's wissen, oder besser erklären?

Ich habe deine Zeichnung gleich verstanden, aber es ist in diesem Zusammenhang unwichtig, welche Projektion verwendet wird.

Zum Problem: man steht mit seiner Kamera so nah vor einem Haus, dass man sie zur Aufnahme nach oben kippen muss. Das Ergebnis sind stürzende Linien. Außerdem werden Teile der Fassade durch herausragende Teile verdeckt, also die unteren Teile der Fenster von Fensterbrettern, Simsen oder Balkonen. Je weiter oben sich diese Vorsprünge befinden, desdo mehr wird verdeckt. Soweit klar, oder?

Wenn man jetzt die stürzenden Linien im Computer durch eine Vertikalverzerrung/-korrektur wieder für das Auge "gerade biegt", tut man nichts anderes, als eine andere Aufnameposition zu simulieren. Man will ja ein Bild erreichen, welches man nur bekommen hätte, wenn die Film-/Chipebene der Kamera parallel zur Fassade des Hauses verlaufen wäre. Nur dann hätten sich keine stürzenden Linien ergeben. Das erreicht man in der Realität nur auf zweierlei Weise:
- man begibt sich im gegenüberliegenden Haus auf halbe Bauhöhe des Zielobjekts oder
- man geht weit genug weg, bis man die Kamera nicht mehr kippen muss.
Egal, welche Möglichkeit man wählt, das Foto hätte andere Teile der Fassade zum Vorschein gebracht, also auch anders ausgesehen.



Grüße ... Ricci

Reinhold

Zeppi, Du bist ein didaktisches "Scharnierl"! Wie die Bayern sagen. Was ein großes Kompliment ist.

Vielleicht noch etwas zur Perception/Wahrnehmung?

Also, wenn ich mein Menschenauge nach oben neige (den Kopf hebe), damit ich das da oben alles sehe, dann stürzen die Linien auch? Nur, ich nehme das nicht wahr?
Weil mein Hirn die Linien geraderechnet?

Gruß
LI.
Im Forum steht alles; auch das Gegenteil.

Lisa.

Ja, genauso ist es.  :yes
Das Hirn sagt Dir, dass dieses und jenes weiter weg ist und lässt Dich den größer / kleiner - Effekt weniger wahr nehmen.

Beispiel mit "nach oben neigen":
Selbe Kameraposition, einmal gerade ausgerichtet, einmal nach oben gekippt:

Leider bekommt man mit gerader Kameraausrichtung oft zu wenig aufs Bild, aber die Verzerrung wäre dann weniger schlimm.
Grüße
Lisa

Reinhold

Wo wohnst denn Du?
Und wo sind die Orchis?

Aber ja, so muß es sein. Die "Verzerrung" stört uns nicht, es sei denn, wir sehen sie auf einem Foto...
Und dann auch wieder nicht, wenn wir auf 3x5m vergrößern, das Ding an die Wand pappen und uns ziemlich genau davor stellen.
s.o.
Im Forum steht alles; auch das Gegenteil.

Lisa.

Meinst Du mich?
Das ist das Müllhäuschen, die Orchideen sind hinter mir.  ;-)
Grüße
Lisa

Zeppi

Zitat von: Lisa. am 13.Apr.11 um 19:32 Uhr
Leider bekommt man mit gerader Kameraausrichtung oft zu wenig aufs Bild, aber die Verzerrung wäre dann weniger schlimm.

Für Profis gibt es sog. Shift-Objektive: http://de.wikipedia.org/wiki/Tilt-und-Shift-Objektiv

Grüße ... Ricci

Lisa.

Alternativ dazu kann man auch einfach bei den Blümchen und Bienchen bleiben, ist ja eher ein Weitwinkelproblem.  ;-)
Grüße
Lisa