Wird Deutschalnd von Moralisten zerstört?

Begonnen von Berthold, 14.Feb.20 um 10:53 Uhr

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Berthold

Ein Land auf Abruf - Unterm Regiment der Moralisten zerfällt die Republik

KISSLERS KONTER VON ALEXANDER KISSLER am 14. Februar 2020 CICERO

Geht da gerade etwas zu Ende, bricht da etwas weg? In den Tagen nach Thüringen kann man diesen Eindruck gewinnen. Doch eigentlich ist Deutschland schon längst ein Land auf Abruf. Neben der Politik gilt das auch für Wirtschaft und Bildung. Zeit für neue Antworten.

Da steht die Journalistin, hält das Mikro und fragt, was nun zu fragen ist: Ob Annegret Kramp-Karrenbauer nach ihrer Rücktrittsankündigung als Parteivorsitzende und ihrem Verzicht auf die Kanzlerkandidatur nur noch eine Parteichefin auf Abruf sei? Die Frage ist berechtigt. Wenn die Macht entgleitet, beschleunigen sich die Zeiten. Wer seinen Rücktritt ankündigt oder seinen Verzicht verspricht, der ist faktisch schon zurückgetreten, hat praktisch schon verzichtet – mag er oder sie noch so tapfer versichern, den Fahrplan des Endens selbst bestimmen zu können. Das klappt nie. Doch nicht nur Annegret Kramp-Karrenbauer ist eine Vorsitzende auf Abruf. Für die Kollegen der SPD gilt dasselbe. Mehr noch: Ein ganzes Land scheint in diesen hektischen, hysterischen Tagen auf Abruf gestellt. Da geht etwas zu Ende, da bricht etwas weg, vielleicht für immer.

Glaubt wirklich jemand, der Scheinwerferkegel auf die Zerrissenheit der CDU mache die SPD zu einem Hort der Stabilität? Es sei den Verlegenheitsvorsitzenden Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken von Herzen gegönnt, dass sie einmal Fragen zur Konkurrenz beantworten müssen und nicht zum desolaten Zustand des eigenen Ladens. Oder zu Kevin Kühnert. Die nächsten Wahlen, vielleicht schon die nächsten Umfragen werden zeigen, dass das tapsige Duo ein Spitzenteam auf Abruf ist. Weniger Aufbruch war nie als unter diesen biederen Abbruchverwaltern. Derzeit werden für die SPD rund 13 Prozent bundesweit und 15 Prozent in Berlin, 10 Prozent in Thüringen, 7 Prozent in Bayern aufgerufen. Schwer vorstellbar, dass ein fortgesetzter Niedergang der CDU auf das Punktekonto der SPD einzahlt.

Das Funkloch, eine deutsche Spezialität
Sind nicht auch zunehmend mehr Teile der Wirtschaft auf Abruf? Kurzarbeit fräst sich durchs Land, die Autobauer leiden, die Zulieferer erst recht. Vom Rückgrat des deutschen Wohlstands ist nur ein Lendenwirbel geblieben. Die Energiewende ist ein Scheitern mit Ansage, Insolvenzen pflastern ihren Weg. Die Nullzinspolitik schlägt Krater in die Salden der Sparbücher und Löcher in die Bilanzen der Banken und Versicherer. Das Funkloch wurde zur deutschen Spezialität wie einst das Wirtschaftswunder, der Kindergarten, der Blitzkrieg. Wen es nach stabilen Netzen verlangt, der muss von der Uckermark aufbrechen. Am besten nach Georgien, Slowenien, Äthiopien, wo man vollbracht hat, was hier unlösbar erscheint, Datenversorgung ohne Datenabbruch. Von China wollen wir schweigen. Auf diesen Witz einigt man sich schnell: Made in Germany.

Deutschland ist auch eine Bildungsnation auf Abruf. Die Ansprüche werden behutsam der Grasnarbe angenähert, damit jeder irgendwie sein Abitur schafft, damit jede irgendwie durchs Studium kommt. Wer schlechte Leistungen schlechte Leistungen nennt, diskriminiert die Dummheit. Oder führt Böses im Schilde. Wer Unterschiede feststellt, verstößt gegen das einzige Dogma, das nicht bezweifelt werden darf: dass jeder Mensch ein Bündel an Kompetenzen sei, die es wertzuschätzen gelte, unbedingt. Wer falsche Antworten bekommt, hat eben falsch gefragt. Wer ein Diplom anstrebt, hat ein Recht darauf. Bildungsferne Bildungsabschlüsse sind die Klubabzeichen einer egalitären Ignoranzgesellschaft.

Argumentative Holzhämmer
Mit der Bildung kollabiert das Wissen und implodiert der Diskurs. Wurde je erbarmungsloser, erkenntnisschwächer abgeurteilt als in diesen Tagen? Der historische Vergleich – ,,Nazi!", ,,Mauerschützenpartei!", ,,Weimar!" – verstopft das Denken auf unheimliche Weise. Mehr argumentative Holzhämmer liegen bereit als Köpfe, die man damit malträtieren könnte. Listen ersetzen Gedanken, öffentliche Bekenntnisse werden abgefragt und eingefordert, Selbstanklagen inszeniert, soziale Ausschlüsse vollzogen. Einst war das Politische politisch, dann auch das Private politisch. Heute ist jede Moral politisch, und Moral lauert überall. Noch der simpelste Konsum, noch die persönlichste Lebensentscheidung wird vor den Richterstuhl öffentlicher Moral gezerrt. Das Regiment der Tugendbolde schläft nie.

Was uns fehlt, ist somit klar: Deutschland kam sein republikanischer Geist abhanden. Wir alle haben uns daran gewöhnt, dass zwei Menschen eine Gruppe bilden und dass jede Gruppe ihre Rechte hat. So zerfiel die Republik. Wo Bürger waren, sind Anspruchsberechtigte. Wo Individuen sich die Hand gaben, kreuzen empfindliche Weltanschauungen die Klingen. Wo Freiheit sein könnte, fletscht das Kollektiv seine Zähne. Es vergisst nichts, vergibt nichts, das Kollektiv der guten Denkungsart.

Ein Land auf Abruf braucht neue Antworten. Und diese können nicht aus dem Geist beschaffen sein, der den Abruf ins Werk setzte. Darum sollte Schluss sein mit der Gewohnheit, Meinungen sofort zu moralischen Urteilen zu entstellen. Mit der Unterstellung, in jedem Gegenüber lauere der politische Todfeind. Schluss vor allem mit der Verwechslung von Gefühl und Argument, Rechthaberei und Recht. Besser heute als morgen.
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

Ruediger

Das Gutmenschentum mit seiner absolutistischen Moral hat kann keine andere Sicht der Dinge zulassen, und walzt mit seiner Gesinnungsethik alles platt.

Verantwortung sieht anders aus, aber Gesinnung kennt kein Abwägen oder in Frage stellen der eigenen Position, schließlich geht es dort immer gleich ums Ganze.

Das eindeutig Gute steht gegen das abgrundtiefe Böse in jeder Situation im Alltag oder der Politik, laufend droht der Untergang der Humanität, immer stehen Demokratie und Menschenrechte auf dem Spiel.

Das ist das Kernproblem dieses ganzen Tugendterrors, Daueralarm auf allen Kanälen.
Außerdem die Maßlosigkeit und die fortgesetzte Delegitimierung  anderer Vorstellungen und Interessen.

Man kann das als Borderline-Störung der Gesellschaft ansehen, da wird ein Zusammenleben anstrengend und sehr konfliktträchtig, egal wie vermeintlich ,,gut" die Absichten der Tugendhaften sind.

Beste Grüße

Rüdiger