Meristemvermehrung von Orchideen

Begonnen von Berthold, 16.Jan.11 um 22:18 Uhr

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Berthold

Heute hat Timm Willems dem Claus und mir eine Einweisung in die vegetative Orchideenvermehrung durch in vitro Meristemkultur erteilt.

Das Verfahren ist simpel: Man entnimmt der Pflanze ein Stück mit Meristemzellen, die noch nicht zu stark in die falsche Richtung der Differenzierung vorgepolt sind. Man darf also keine Zellen erwischen, die schon zu stark in Richtung Blüte ausgerichtet sind, denn sonst entwickelt sich auf dem Nährboden keine komplette Pflanze sondern vielleicht nur eine verkrüppelte Blüte.
Dieses Pflanzenstück desinfiziert man, ohne die Meristemzellen dabei zu zerstören, legt das Stück auf geeigneten Nährboden und lässt unter sterilen Bedingungen wachsen.

Als Versuchsobjekt haben wir unter anderem eine Phalaenopsis Fantasy Musick ausgewählt.
Im Folgenden werde die einzelnen Arbeitsschritte erläutert.
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

Berthold

#1
Bei den meisten Phalaenopsis findet man geeignetes Meristemgewebe in den Nodie (Knoten) des Blütentriebes. Aus diesen Nodien können potenziell Kindel, Blütentriebe oder Blüten entstehen.



Man sieht den BT mit den einzelnen Nodien, die durch ein kleines Hüllblatt verdeckt sind. Unter diesem Hüllblatt sitzt das Meristemgewebe, im frühen Stadium versehen mit einer Schutzhaut.
Das Meristemgewebe der unteren Nodie ist besser geeignet zur Vermehrung als das Gewebe der höher sitzenden Nodien, da dort oft schon eine Vorpolung für Blüten oder Blütentrieb existiert

Man muss also zunächst den BT ganz dicht an der Pflanze abtrennen
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

Berthold

#2


Hier sieht man den unteren Teil des BT. Die Hüllblätter wurden bereits abgetrennt.

Im zweiten Knoten von rechts sieht man, dass sich das Meristemgewebe bereits zu einem kleinen Trieb von ca. 0.8 mm Länge entwickelt hat. Wenn es ein Kindel werden sollte haben wir Glück gehabt, wenn aber nur ein neuer BT angedacht war, sind wir zu spät dran. Ausserdem ist die Schutzschicht schon abgebaut, sodass der kleine Trieb bei der noch zu erfolgenden Desifizierung "verbrennen" kann.





Das Meristem an diesem Knoten ist noch nicht differenziert und auch noch mit einer Schutzhaut umgeben, sodass das Gewebe auch noch steril und ausserdem noch geschützt gegen die Desinfektionflüssigkeit ist.
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

Berthold

#3
Die Nodien werden zerschnitten und in 1.3% Natriumhypochlorit für ca. 12 Minuten desinfiziert, dann abgewaschen und auf den Nährboden gelegt




Das ist die Ausbeute eines Blütentriebes



Den restlichen Blütentrieb steckt man dann in eine Blümenvase
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

Berthold

#4
Bei dem Verfahren ist mit folgenden Risiken zu rechnen

1. Das Meristemgewebe ist schon in eine falsche Entwicklungsrichtung vorgepolt. Dann enstehen keine brauchbaren Pflanzen

2. Das Meristemgewebe lässt sich nicht vollständig desinfizieren, weil in irgendwelchen Zellecken noch Infektionskeime stecken

3. Das Meristemgewebe wird beim Desinfizieren mit zerstört

4. Der Nährboden enthält nicht die richtigen Wachstumsregulatoren für die Pflanzenentwicklung

5. Das Meristemgewebe zeigt sehr starke Phenolbildung und vergiftet sich selber

6. Bei einem der Arbeitsgänge sind Keime in das sterile System gelangt und alles versifft (Hospitalismus)

7. Die Pflanzen überleben nicht den Sprung von der Flasche mit dem nährstoffhaltigen Gelboden auf das unsterile Kultursubstrat, meist bestehend aus einem hohen Sphagnumanteil.


Wir sind gespannt, ob wir bald ganz viele kleine FMs zur Verfügung haben.
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

Berthold

#5
Neben den Arbeiten an der Phalaenopsis wurde heute auch ein neues Verfahren getestet, um bei Steinlaelien geeignetes Meristemgewebe zur Vermehrung zu gewinnen.
Ein Test läuft an Laelia milleri und Laelia colnagoi.
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

Charlemann

Sehr schön Berthold,
ich hätte allerdings noch zwei Fragen hierzu.
Erstens, welchen Boden habt ihr hierzu genommen und
zweitens wie funktioniert das bei Cyps.?

orchitim

Ich bin gegen ein Tempolimit - jeder soll soviel Taschentücher haben wie er mag.

Peter


vielen Dank, Berthold. Sehr interessant. Das eröffnet ungeahnte Möglichkeiten.

Gruß
P.
Grüße
P.

Es wurde schon alles gesagt, nur noch nicht von Jedem! (Karl Valentin)

mango

Super interessant. Ich drück die Daumen für ganz viele FM's und für die restlichen Versuche  :thumb
Würdest du mich mit auf die FM-Liste setzen, Berthold  :rot?
LG
Conny

Auch ein blindes Huhn findet mal ein(en) Korn! grins

Claus

Vor allem hat uns gewundert, dass der Prozess prinzipiell sehr einfach ist. Liest man in der Literatur nach, dann ist immer von einem Ausschälen des Meristems die Rede, das dann nach Desinfektion in einer komplizierten Nährlösung ständig bewegt wird, um die Orientierung nach oben und unten zu vermeiden. Das Gewebestück wachse dann zu einer Kugel heran, die wiederum geteilt werden könne etc. Schließlich in Ruhe würden sich Wurzeln und Trieb bilden.

Das hier gezeigte Verfahren ist viel leichter umzusetzen und auch im Hobbylabor machbar.
Wer Chemiker werden will, muss Chemie studieren; wer Jurist oder Arzt werden will, muss Jura oder Medizin studieren. Aber um Politiker zu werden, ist lediglich das Studium der eigenen Interessen notwendig. (Max O'Rell)

kete

Ist das denn echte Meristemisierung? Kommt mir eigentlich nur vor wie Nodienkultur, bloß statt in Spaghnum auf Nährboden. Du hast ja anschließend allenfalls soviel kleine Pflanzen wie Nodien vorhanden sind und nicht hunderte oder tausende.  :ka
Hybriden !!!

orchitim

Das von Claus beschriebene Verfahren ist sicher jenes welches für die Massenvermehrung selektierter Klone Verwendung findet.
Ob die von Berthold beschriebene Methode zu einer größeren Anzahl Pflanzen führt würde mich auch interessieren. Zumindest müsste irgendwann der Zellklumpen zerschnippelt werden um dies zu erreichen.
Ich bin gegen ein Tempolimit - jeder soll soviel Taschentücher haben wie er mag.

Berthold

Zitat von: kete am 17.Jan.11 um 10:05 Uhr
Ist das denn echte Meristemisierung? Kommt mir eigentlich nur vor wie Nodienkultur, bloß statt in Spaghnum auf Nährboden. Du hast ja anschließend allenfalls soviel kleine Pflanzen wie Nodien vorhanden sind und nicht hunderte oder tausende.  :ka

Kete, man kann die entstehenden Triebspitzen wieder in zwei oder mehrere Teile teilen und käme so mindestens auf eine Verdoppelung etwa alle 6 Wochen.
Wir wollen aber auch nicht zu viele Pflanzen produzieren und uns selber die Preise zerstören.

Kete sei Dir bewusst, dass aus dem Meristemgewebe in dem Knoten entweder Kindel oder Blutenstiele entstehen können.
Vielleicht hast Du mit Deinem Keikibooster einen Blütenstiel gemacht.
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

Berthold

Zitat von: orchitim am 17.Jan.11 um 08:32 Uhr
Und wie bei Phrags?

Bei den verschiedenen Orchideengattungen ist es unterschiedlich schwierig, das Meristemgewebe von der Pflanze abzuschneiden und es äusserlich zu desinfizieren ohne es dabei abzutöten.

Es laufen zur Zeit Versuche, welche Pflanzenteile bei welcher Orchideengattung man dazu benutzen kann.

Bei Cypripedien gibt es auch schon erfolgreiche Vermehrung über Meristeme, aber der Wirkungsgrad ist sehr schlecht. Der Erfolg hängt auch von dem aktuellen Zustand der Pflanze in dem Wachstumszyklus ab.
Vielleicht werden wir im Laufe des Jahres ein Verfahren an extrem seltenen Cypripedien testen.

Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)