Soll man Pflanzen aus Naturentnahmen kultivieren?

Begonnen von orchitim, 06.Feb.11 um 22:14 Uhr

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orchitim

Im Nachgang zum Thema Cites und rechtmäßiger Erwerb interessiert mich doch mal der Standpunkt hier im Forum bei der Inkulturnahme von vermutlichen Wildherkünften. Nicht das ich irgendwessen Integrität anzweifle, aber da bestehen doch zum Teil weltanschauliche Differenzen.
Ich möchte mal an einem Beispiel aufzeigen was ich damit meine. Jeder von uns kennt Ausstellungen auf denen ausländ. Händler mit legal eingeführten Pflanzen stehen und manche davon sehen doch eher so aus als wären sie am Fluhafen noch schnell vom Baum gerupft. Ich gehe hier nur vom Augenschein aus und will das nicht unterstellen.
Die einen sagen , sowas kaufe ich nicht, das ist Raubbau, sowas darf man nicht noch unterstützen. Die anderen, und da zähle ich mich dazu, sagen, sicher ist das nicht in Ordnung, das sollte man doch stärker kontrollieren, aber wenn die jetzt garniemand kauft, wandern sie auf den Kompost und ist der natur damit geholfen. Ist es nicht besser diese Pflanzen und damit den ihr innewohnenden Genpool dieser Art zu erhalten, versuchen erfolgreich zu kultivieren und das auch im Interesse des Artenschutzes. Wer die Bilder oder leibhaftig Märkte in Asien, insbesondere aktuell in Vietnam gesehen hat, der weis was dort in 5-10 jahren los ist, wieviele Orchideen dann noch in der Natur vorhanden sein werden. Da ist dann jedes einzelne Exemplar einer Art wichtig um, wenn auch nur vorerst in Kultur, dieser ARt ein ausreichendes Potential zum überleben zu erhalten. Und wie aktuelle orschungen zeigen, u.a. auch an unserem Garten, ist die Diversität von Pflanzen nicht auf den Artstatus beschrankt, sonder innerhalb derer bestehen funktionelle Gruppen mit unterschiedlich ausgeprägten genetischen merkmalen, obwohl sie sich äußerlich nicht unterscheiden.

Für eine Sachbezogene Diskussion, ohne Anstrichfragen wäre ich sehr dankbar.
Diskutiere niemals mit Idioten. Sie holen dich auf ihr Niveau und schlagen dich dort mit Erfahrung.

Charlemann

Hallo Tom,

ich denke das wird man nie ganz unter einen Hut bringen können. Jeder hat da seine eigene Ansichtsweise und ob das je nach Standpunkt gut oder schlecht zu bewerten ist sei dahin gestellt und liegt nicht in meinem ermessen dieses zu bewerten.
Es gibt wie Du sagt Menschen die prinzipell sagen "Das kaufe ich nicht!". Aber wie wollen diese Leute mit 100%iger Gewissheit sagen, das sie das auch wirklich nicht machen? Was ist wenn ein profitgieriger Händler Naturentnahmen eine gewisse Zeit in einen Topf steckt, etwas hochpäppelt und dann als Pflanze aus gärtnerischer Zucht und Vermehrung anbietet? Das kann niemand. Aber genauso problematisch sehe ich auch Deine Ansichtsweise zu dem Thema. Solange es Leute gibt die Naturentnahmen kaufen, wird auch geräubert. Es ist schwer zu sagen was richtig und was falsch ist. Aber eines ist meines Wissens schon wichtig. Man sollte zum Händler seines Vertrauens gehen. Und wenn man dort viele gleichwertige Pflanzen einer Art nebeneinanderhängen sieht, kann man davon ausgehen das sie gärtnerisch vermehrt worden sind. Solche Pflanzen sollte man schon bevorzugen.
Dein Arrgument mit dem Raubbau in Asien ist schon richtig, jedoch halte ich eine Kultur in privaten Räumen für arterhaltende Maßnahmen für ungeeignet. man stelle sich mal vor, das ein Privatmann eine sehr selten Pflanze "ergattert" und die halbwegs über die Runden bringt. Nun wird er Wald in dem diese Art vor kam abgeholz und schwupps hat er die Letzte ihrer Art im Wohnzimmer stehen.
Was soll man jetzt damit machen?
Zwangsenteignen und eine Meristemvermehrung anstreben?
Betteln und beten, dass das teul blüht und dann bestäuben, aussäen lassen und die Sämlinge in einem nahegelegenen Wald dieser Art wieder aussiedeln?
Alles nicht so ganz richtig wie ich finde.

Zu Deinem letzten Punkt mit der Diversität von Pflanzen muss man sagen, das es immer eine gewisse Variabilität innerhalb einer Art geben wird. Das ist gut und richtig. Genetische Veränderungen werden sich immer wieder bei einer generativen Vermehrung einstellen, das nennt man Evolution.

Berthold

Zitat von: orchitim am 06.Feb.11 um 22:14 Uhr
Jeder von uns kennt Ausstellungen auf denen ausländ. Händler mit legal eingeführten Pflanzen stehen und manche davon sehen doch eher so aus als wären sie am Fluhafen noch schnell vom Baum gerupft. Ich gehe hier nur vom Augenschein aus und will das nicht unterstellen.

Ist es denkbar, dass die Händler in den Tropen ihre Pflanzen naturnahe auf Bäumen oder Ästen ihres Waldgartens aufgebunden kultivieren und sie dann für den Transport nach Europa abreissen?
Ich habe solche Gärten auf Reunion gesehen, z. B. ein Baum im Garten voller Bulbos, etwa 3 verschiedene Arten.
Vanilla planifolia war über grosse Waldflächen verteilt, alle per Hand angepflanzt.

Können z. B. Paphis in Japan oder Vietnam oder China in moosigen Felsengärten kultiviert werden oder müssen sie immer in Töpfen mit Schaumstoffsubstrat gehalten werden, damit sie in Europa nicht nach Naturentnahmen aussehen?
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

Charlemann

Das ist natürlich auch richtig Berthold.
Man kann den Züchtern nicht vorschreiben wie sie ihre Pflanzen zu halten haben.

Berthold

Zitat von: orchitim am 06.Feb.11 um 22:14 Uhr
Händler mit legal eingeführten Pflanzen

Wenn eine Pflanze legal eingeführt ist und sie mich interessiert kaufe ich sie natürlich.

Ich masse mir nicht an, anderen Ländern vorzuschreiben, was sie mir ihrer Natur tun oder lassen sollen. Diese Verhalten würde ich als überheblich und ungerechtfertigt empfinden.
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

orchitim

Ich habe ja auch vom Augenschein gesprochen, obwohl....
Was Deine Sichtweise mit der einzigen überlebenden angeht, so ist diese egal wie sie später dupliziert wird zum Aussterben verdammt. Und Evolution lebt nicht grundsätzlich von dem was rauskommt, sondern eben davon was reingesteckt wird. Nur aus dem was begrenzt verschiedenartiges reingesteckt wird kann es zu Diversitätssprüngen kommen. Es ist für eine Population nicht wichtig das eine Pflanze überlebt, sondern soviele wie möglich. Ich will das mal kurz aus unseren Erfahrungen umreißen. Ein Gras der Art xy ist über ganz Europa verbreitet. Die Genetik zeigt das sie 100 übereinstimmen egal wo sie herkommen, alle haben das gleiche Rüstzeug mitbekommen. Die Untersuchungen der funktionellen Diversität zeigen nun aber erstaunliche Unterschiede. Die Pflanze aus Deutschland kommt bestens mit Frosteinbrüchen im Frühjahr zurecht, stirbt aber ab sobald eine längere Trockenheit vorherrscht. Die Pflanze aus Spanien kann mehrere Monate trocken stehen, sobald sie Wasser bekommt wächst sie weiter, aber Temperaturen unter Null machen ihr den Garaus.
Die Vermutung ist, beide haben dann genetischen Schalter für Trockenresistenz und für Frosthärte, aber in Anpassung an die Örtlichkeit in Verbindung mit Vererbung sind mal der eine und mal der andere Schalter aktiviert. Man stelle sich das wie einen Haufen vor auf dem die Eigenschaften liegen, obenauf jeweils die welche aktiviert sind um sie schneller abrufen zu können. Die anderen könnten theoretisch ebenfalls aktiviert werden, sie sind ja vorhanden, nur reicht der normale Stoffwechsel nicht aus um genügend Energie zu produzieren um diese aus dem Haufen zu holen und zu aktivieren. Die Natur arbeitet nunmal mit dem minimalen Optimum.

Interessant ist dieses Konzept bei der Beurteilung der Frage, warum sind Meristeme häufig scheinbar steril. Kann es nicht sein, das es daran liegt, das Meristeme häufig von Pflanzen gemacht werden welche wegen ihrer besonderen Eigenschaften und/oder Schönheit schnell reproduziert werden ohne das bei der Elternpflanze der Prozess der generativen Vermehrung stattgefunden hat und somit dieser Schalter nicht aktiviert wurde und damit tiefer im Haufen liegt und für einige der nachkommen nicht mehr abrufbar ist. Das nur mal ein Gedanke, weil plausible Erklärungen für die Sterilität sind mir bisher noch nicht untergekommen.
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Charlemann

Zitat von: orchitim am 06.Feb.11 um 23:07 Uhr
Interessant ist dieses Konzept bei der Beurteilung der Frage, warum sind Meristeme häufig scheinbar steril. Kann es nicht sein, das es daran liegt, das Meristeme häufig von Pflanzen gemacht werden welche wegen ihrer besonderen Eigenschaften und/oder Schönheit schnell reproduziert werden ohne das bei der Elternpflanze der Prozess der generativen Vermehrung stattgefunden hat und somit dieser Schalter nicht aktiviert wurde und damit tiefer im Haufen liegt und für einige der nachkommen nicht mehr abrufbar ist. Das nur mal ein Gedanke, weil plausible Erklärungen für die Sterilität sind mir bisher noch nicht untergekommen.

Wie weit sind die Pflanzen denn steril?

Können sie selbst als Mutterpflanze keinen Samen produzieren aber die Pollen sind brauchbar?
Dann wäre ein Gedanke von mir der, das Pflanzen sich vegetativ Vermehren um möglichst viele Blüten (=Pollen) zu bilden um die Möglichkeit der Befruchtung einer fertilen Blüte zu erhöhen.
Nur so ein Gedanke.
Ich hab mich damit auch noch nicht wirklich auseinander gesetzt.

orchitim

Das Konzept der aktivierbaren Eigenschaften istgrob gesagt der gedankliche Ansatz für die diversität innerhalb der Arten, Anpassungsfähigkeit. In etwa sowas wie wir beim Menschen schon lange als gegeben erachten, die Erziehung und Bildung ist ausschlaggebend für die Entwicklung des Menschlein und nur im begrenzten Umfang das genetische Rüstzeug. Obwohl sich auch hierbei unterschiede in den aktivierten Schaltern zeigen, wir sagen dazu der Apfel fällt nicht weit vom Stamm.
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Berthold

Zitat von: orchitim am 06.Feb.11 um 23:07 Uhr
Das nur mal ein Gedanke, weil plausible Erklärungen für die Sterilität sind mir bisher noch nicht untergekommen.

Vielleicht sind es auch nur die sich bei häufiger Zellteilung summierenden gentischen Defekte, die zur Sterilität führen.
Aber ich bin da unwissend.
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

orchitim

Dann wäre diese nicht so ausgeprägt bei vielen Meristemen. Gendefekte stellen sich doch spontan ein und nicht systematisch. Oder ?
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Berthold

Zitat von: orchitim am 06.Feb.11 um 23:55 Uhr
Dann wäre diese nicht so ausgeprägt bei vielen Meristemen. Gendefekte stellen sich doch spontan ein und nicht systematisch. Oder ?

bei jeder Zellteilung tritt eine kleiner Fehler auf. Irgendwann sind so viel zusammen gekommen, das man sie schon äusserlich an der Pflanze erkennt oder sich die Pflanze nicht mehr vermehren kann.

Es gibt natürlich aus dicke grosse Defekte, die quasi spontan auftreten. Man kann sie auch künstlich erzeugen, durch Bestrahlung mit harten Strahlen oder Elektronen.
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

orchitim

Das ist mir schon klar, funktioniert Zeitpunktabhängig in welcher Phase der teilung man die Bestrahlung vornimmt, kann man bestimmte Defekte erzeugen. Die kleinstdefekte welche sich summieren  sind aber spontan und nicht vorhersehbar.

Aber eigentlich ging es mir hier um was anderes. Der Ausflug in die Gene war nur eine Begründung für meinen Standpunkt.
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Berthold

Zitat von: orchitim am 07.Feb.11 um 00:10 Uhr
Das ist mir schon klar, funktioniert Zeitpunktabhängig in welcher Phase der teilung man die Bestrahlung vornimmt, kann man bestimmte Defekte erzeugen. Die kleinstdefekte welche sich summieren  sind aber spontan und nicht vorhersehbar.


Aber die Defekte durch Bestrahlung sind auch nicht vorhersehbar. Da gilt soweit ich weiss immer noch Versuch und Irrtum.
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

orchitim

Das stimmt nicht ganz. Als ich noch in der Medizin war habe ich mal Versuche durchgeführt zur Entwicklung von Polydaktylie, Vielfingrigkeit. Diesen Defekt in der embryonalen Entwicklung kann man gezielt hervorrufen, indem man zum genauen Zeitpunkt  die Chemikalie Y der Mutter zuführt. Wichtig dabei ist, zu wissen wann genau die Befruchtung der Eizelle stattgefunden hat und +/- sonundsoviele Tage/Stunden/Minuten danach muss die Einnahme erfolgen. Es handelt sich dabei um einen gezielt herbeigeführten genetischen Defekt.
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Berthold

Zitat von: orchitim am 07.Feb.11 um 00:21 Uhr
Das stimmt nicht ganz.

Durch Chemie, das kann ich mir fast vorstellen aber durch Bestrahlung? Ich glaube nicht, dass man so genau treffen kann.
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