Alba, semialba, flava, ochracea

Begonnen von Berthold, 10.Mär.11 um 15:50 Uhr

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Berthold

Ein paar Gesichtspunkte zu der Namensgebung der Pflanzen, wenn sie durch genetische Defekte nicht alle der für sie sonst üblichen Farbstoffe produzieren können

1. Die Pflanzen enthalten verschiedene Stoffgruppen, die auf die Farbausprägung der Pflanze Einfluss besitzen. Diese Stoffgruppen sind aber nicht nur für Farbgestaltung zuständig, sonder haben darüber hinaus meist noch weitere physiologische Bedeutung.

Die wichtigsten Stoffgruppen sind
- Chlorophyll
- Anthocyane
- Carotinoide
- Anthoxanthine
- Betalaine
- Flavone

Nicht alle Pflanzen besitzen in der normal ausgeprägten Art alle dieser Stoffgruppen in gleichem Umfang.
Darüber hinaus tritt bei einzelnen Individuen einer Art durch genetische Defekte eine Mangelproduktion des einen oder anderen Stoffes auf. Dadurch erscheinen sie äusserlich in anderen Farben und sind meist nicht so robust wie ihre normal veranlagten Artgenossen.

Für die verschiedenen Stufen der fehlenden Farbsubstanzen werden von den Pflanzenfreunden verschiedene Namensergänzungen der Artnamen gewählt zur Kennzeichnung der Form oder Variation der Art. Die Namensergänzungen sind teils unsystematisch und sollen deshalb hier erläutert werden.

2. Als Namensergänzungen werden meist benutzt
- albinistisch
- alba
- semialba
- flava
- ochracaeus
- apochrom

Albinistisch : Der Pflanze fehlt der grüne Pflanzenfarbstoff  Chlorophyll. Sie wird aber nur so bezeichnet, wenn die Art normalerweise Chlorophyll produziert. Die Blüten einer albinistischen Pflanze können normal gefärbt sein. Beispiel

alba : Der Pflanze fehlen alle Farbstoffe der Blüte, die normalerweise bei der Art enthalten sind

semialba : der Pflanze fehlt ein Teil der Farbstoffe der Blüte

flava : der Pflanze fehlen alle Farbstoffe der Blüte, die normalerweise bei der Art enthalten sind ( also analog zu der Bezeichnung alba). Bei dieser Pflanzenart bleibt jedoch trotz Fehlens der Farbstoffe aus physiologischen Gründen eine gelbe Grundfarbe im Pflanzenorganismus zurück. Dieser Effekt ist meist typisch für eine gesamte Orchideengattung

ochracaea (okergelb): analog zu semialba

apochrom : analog zu flava, wenn die Farbstoffe fehlen, bleibt kein reines Weiss sondern ein gelbgrün zurück.


Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

cklaudia

Hallo Berthold

Danke für deine Ausführungen. Ich habe seit Januar eine Phal. bellina, deren Blätter wahnsinnig blass sind. Die Farbe an der Basis der Blätter (wo sie den Stamm "umschliessen" kann man schon fast als weiss bezeichnen. Da ich sie nicht blühend gekauft habe, weiss ich nicht, ob die Blüten eine normale Färbung aufweisen. Ich hoffe sehr, dass dies der Fall sein wird.
Jedenfalls hatte ich mich gefragt, ob die Blattfarbe irgendetwas mit den alba-Variationen zu tun haben könnte. Da ich jedoch vorher noch nie etwas darüber gelesen habe, dachte ich dann, dies sei vielleicht doch zu weit her geholt.
Die Pflanze habe ich vor der Schliessung des Orchideenzentrums in Sirnach (Schweiz) gekauft, da ich diese Art ohnehin gerne haben wollte. Es hatte nur noch ca. 6 Pflanzen, die alle nicht blühten, aber alle diese seltsam helle Färbung aufwiesen. (Ich habe bereits einige Varietäten von bellina/violacea, deren Blätter alle "normal" und glänzend aussehen). Die Verkäuferin konnte mir auf Nachfrage nicht wirklich weiterhelfen.
Nach deiner Erklärung könnte dies jedoch eventuell eine albinistische Pflanze sein. Weisst du, ob solche Blätter doch ein blasses Grün aufweisen können? Die Bilder in dem Link von dir sind da (für mich) nicht sehr aufschlussreich.

Grüessli Claudia

Berthold

Grüessli Claudia, eine albinistische Pflanze ist normalerweise nicht existenzfähig. Es sei denn, irgendein Pilz klammert sich an die Wurzeln und ernährt die Pflanze oder sie wird künstlich in steriler Umgebung ernährt. Wir haben letzteres manchmal bei Sämlingen von Erdorchideen, meist Ophrys.

Es gibt aber häufiger den Fall, dass durch eine Stoffwechselstörung weniger Chlorophyll gebildet wird und die Blätter dann blassgrün erscheinen. Das fehlende Chlorophyll in den Blättern muss also nicht immer genetisch bedingt sein.
Wenn das Chlorophyll fehlt besagt das nichts darüber, ob vielleicht auch Blütenfarbstoffe fehlen.

Hast Du ein Foto Deiner Pflanze?
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

Solanum

Bei Orchideen fehlen alba- oder flava-Formen häufig die roten Pigmente auch in den Blütentrieben, so daß diese dann grün statt rötlich sind. Ein anderes Beispiel ist die typische rote Linie in der Mitte von cornu-cervi oder mannii-Blättern. Diese fehlt bei cornu-cervi flava und ist bei den dunkelroten cornu-cervis stärker ausgeprägt.
Bei blassen Blättern würde ich dagegen von einer Mangelerscheinung ausgehen.

Berthold

#4
Zitat von: cklaudia am 06.Apr.11 um 14:56 Uhr
Aha. Solche Vermutungen über Mangelerscheinung oder Stoffwechselstörung habe ich ebenfalls schon gehabt. Leider konnte mir dies auch niemand mit Gewissheit bestätigen. Stoffwechselstörung an sich wäre mir dann aber logischer als eine Mangelerscheinung, die von unzureichender Pflege herrührt. 

Grüessli Claudia

Claudia, Stoffwechselstörung und Mangelerscheinung ist praktisch das Gleiche. Auf Grund irgend einer Stoffwechselstörung können bestimmte Mikronährstoffe nicht aufgenommen oder verarbeitet werden. Das führt dann zu Mangelerscheinungen an bestimmten Stellen der Pflanze.
So eine Stoffwechselstörung kann viele Ursachen haben, z. B. falsche Licht- oder Feuchtigkeitsverhältnissen, Infektionen im Wurzelbereich, falscher pH-Wert im Substrat.
In den seltensten Fällen liegt ein Mangel an Mikrokomponenten im Substrat vor. So zeigen Pflanzen manchmal gelbliche Blätter, da liegt dann oft Eisenmangel vor aber den kann man nicht durch Eisenzugabe zum Substart beheben.

Ich würde mir die Wurzeln Deiner Phal mal genau ansehen, reinigen und in neues sauberes Substrat einpflanzen.
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

cklaudia

Klar, das mit Stoffwechsel versus Mangel. So gesehen...
Ich habe das Wort Stoffwechselstörung wohl assoziiert mit dem pflanzeneigenen Innenleben während das Wort Mangelerscheinung von mir auf lediglich äussere Einflüsse zurückgeführt wurde. Ich bin definitiv keine Botanikerin und mir ist zwar klar, dass pflanzliche und tierische Zellen grössere Unterschiede aufweisen (Biounterricht hatte ich schon mal irgendwann  ;-)), aber Stoffwechselstörung ist ja bei uns quasi körperlich...  :bag

Umtopfen werde ich definitiv während den nächsten 2 Wochen. Da habe ich viel Zeit. Ich muss dieses Jahr über 50 Stück umtopfen und habe den Frühling sehnlichst erwartet, um loslegen zu können. Die letzten 2 Wochen kamen schon mal die 15 dringendsten Fälle dran, aber auf deinen Rat hin werde ich diese Pflanze also so bald wie möglich in Augenschein nehmen und umtopfen. Danke ;-)

Burki

Berthold,
prima, daß Du dieses Thema mal aufgegriffen und erläutert hast.
Da fiel mir grade ein, daß ich letztens von Schwerte ein B. graveolens mitgenommen hatte, bei welchem bis auf zwei, die  Blätter hellgelbgrün waren. Also nicht weißlich, sondern mehr so, daß der Chrorophyllanteil zu niedrig war.
Nach meiner neulichen CO² Zudüngung hat sich das sehr deutlich gebessert. Die Blätter sind noch immer heller, aber nicht mehr gelblich sondern normal grün.
Ansonsten konnte ich keine Veränderung durch diese Aktion feststellen.
Grüße, Burki     http://bulbophyllum.de/Bulbophyllum/

Die billigen Tricks sind oft die preiswertesten.
Verdorbener Spaß muß nicht sofort weggeworfen werden.
Zwei accounts kosten nicht das doppelte sondern Nerven.
Hat die Sache einen Haken, hänge was Aufgebundenes dran.

Ahriman

Ich würde meinen dass eine Stoffwechselstörung ähnliche oder sogar dieselben Symptome wie eine Mangelerscheinung zeigt aber andere Ursachen hat.

Eine Stoffwechselstörung ist genetisch oder krankheitsbedingt sodass die Pflanze auch unter optimalen Bedingungen Nährstoffe nur schlecht aufnehmen bzw. metabolisieren kann.

Bei einer Mangelerscheinung wäre die Pflanze in der Lage die Nährstoffe aufzunehmen, sie sind aber einfach nicht da oder durch Umweltbedingungen wie pH nicht pflanzenverfügbar.


Zu den Blütenfarben:

So ganz bin ich aus dem Bezeichnungswirrwarr noch nicht schlau geworden.

z.B. Guarianthe (Cattleya) aurantiaca:

Die Nominatform ist orangerot, dann gibt es noch eine gelbe flava und eine seltene weiße alba- Form.

http://www.orchidspecies.com/catleyaaurantiaca.htm

Ich denke flava bedeutet einfach dass die Blüte gelb ist. Der rote Farbstoff fehlt, es ist aber immer noch ein gelber da, sonst gäbe es ja nicht die seltenen weißen Formen (gibt es eigentlich weiße Sophroniten oder Phrag. bessae?).

Noch komplizierter wird es bei Bulbophyllum pectenveneris:
Die Blüte kann in sämtlichen Farbverläufen über dunkelrot bishin zu reinweiß vorkommen oder auch grün sein. Ich nehme an das ist eine Mutation bei der in der Blüte Chlorophyll exprimiert wird was normalerweise nicht der Fall ist.

LG,
Christian

Burki

Also die Pecten-veneris, die auf Abbildungen in gelb, grüngelb grün und weiß zu sehen sind, erkenne ich alle als B. flaviflorum. Diese sind bei der jungen Blüte grün und werden nach zwei-drei Tagen gelb. Kurz vor dem Verblühen werden die fast reinweiß. B. flaviflorum unterscheidet sich von der B. pecten-veneris deutlich an der Lippe. Bei B flaviflorum ist die stark gekielt und gefurcht.
Für mich erklären sich die vielen Farbvarianten rot oder auch gelblich grün hierdurch.
Grüße, Burki     http://bulbophyllum.de/Bulbophyllum/

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cklaudia

Zitat von: Ahriman am 06.Apr.11 um 20:28 Uhr
Ich würde meinen dass eine Stoffwechselstörung ähnliche oder sogar dieselben Symptome wie eine Mangelerscheinung zeigt aber andere Ursachen hat.

Eine Stoffwechselstörung ist genetisch oder krankheitsbedingt sodass die Pflanze auch unter optimalen Bedingungen Nährstoffe nur schlecht aufnehmen bzw. metabolisieren kann.

Bei einer Mangelerscheinung wäre die Pflanze in der Lage die Nährstoffe aufzunehmen, sie sind aber einfach nicht da oder durch Umweltbedingungen wie pH nicht pflanzenverfügbar.

DAS entspricht in etwa der Art, wie ich die beiden Wörter aufgefasst habe. Du konntest es einfach definitiv besser beschreiben als ich.
(Dieses Problem habe ich oft: Ich brauche sehr viele Worte, um meinen Eindruck, eine Erklärung usw. so genau wie möglich zu schildern und scheitere dann doch, da ich nicht die richtigen Worte finde...mmh...ich werde es dennoch weiter versuchen  :rot)

Berthold

Zitat von: Ahriman am 06.Apr.11 um 20:28 Uhr
Ich denke flava bedeutet einfach dass die Blüte gelb ist. Der rote Farbstoff fehlt, es ist aber immer noch ein gelber da, sonst gäbe es ja nicht die seltenen weißen Formen (gibt es eigentlich weiße Sophroniten oder Phrag. bessae?).

LG,
Christian

Christian, es gibt aber Arten, meist sogar ganze Gattungen, da ist die Blüte bei fehlenden Farbstoffen immer gelb und nie weiss, z. B. Ophrys.

Ich kenne die physiologische Ursache nicht, vermute aber Folgendes:
Es muss bei genetisch bedingtem "Farbstoffmangel" in der Pflanze eine Derivat des Farbstoffes übrig bleiben, das physiologisch lebensnotwendig ist für die Pflanze und nach aussen nur gelb in Erscheinung tritt. Wenn dieses Derivat nicht existieren würde, wäre die Blüte zwar weiss, aber die Pflanze könnte nicht existieren, deshalb findet man sie nicht.

Dass die Farbstoffe in der Pflanze neben der Farbgebeung auch andere wichtige physiologische Wirkungen entfalten ist ja auch offensichtlich, denn sonst wären Alba-Formen in den meisten Fällen nicht viel anfälliger und weniger robust.
In natürlichen Beständen müssten sie sich viel stärker unter die Normalformen einmischen, wenn sie die gleiche Lebenstüchtigkeit besässen, auch unabhängig davon, dass sie vielleicht schlechter bestäubt werden.
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

Martin

Ist der Begriff "albescens" eigentlich anerkannt, oder ist das auch wieder nur eine Verkaufsmasche?

LG Martin

Burki

Zitat von: Berthold am 06.Apr.11 um 21:37 Uhr
Dass die Farbstoffe in der Pflanze neben der Farbgebeung auch andere wichtige physiologische Wirkungen entfalten ist ja auch offensichtlich, denn sonst wären Alba-Formen in den meisten Fällen nicht viel anfälliger und weniger robust.
In natürlichen Beständen müssten sie sich viel stärker unter die Normalformen einmischen, wenn sie die gleiche Lebenstüchtigkeit besässen, auch unabhängig davon, dass sie vielleicht schlechter bestäubt werden.

Könnte es nicht sein, daß parallel zu den fehlenden Farbstoffen ein Defizit an essenzielen anderen Stoffen besteht?

Möglicherweise sind die Alba-Formen aber in natürlichen Beständen quantitativ zu gering, um sich zu erhalten, vermischen sich mit den Normalformen und verschwinden so wieder?
Grüße, Burki     http://bulbophyllum.de/Bulbophyllum/

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Berthold

Zitat von: Burki am 06.Apr.11 um 22:23 Uhr
Möglicherweise sind die Alba-Formen aber in natürlichen Beständen quantitativ zu gering, um sich zu erhalten, vermischen sich mit den Normalformen und verschwinden so wieder?

aber wenn die Albas die gleiche Lebensfreude hätten, müssten sie sich vermischen, aber das tun sie nicht.
Wenn man in einen Bestand hellroter Pflanzen ein etwas dunkler rote Pflanze einsetzt mischt sie sich auch in Laufe der Generationen in den Bestand ein.
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

Burki

Ja, und man wird nichts mehr von ihr finden, denn deren Nachfolger mischen sich immer weiter mit den hellroten.
Grüße, Burki     http://bulbophyllum.de/Bulbophyllum/

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