Frage an die Botaniker - Artbegriff

Begonnen von pit, 09.Dez.11 um 08:21 Uhr

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pit

hallo zusammen,

der klassische Artbegriff wie er in der Botanik und Zoologie Verwendung findet, beruht ja auf der Fähigkeit von Organismen, untereinander, jedoch nicht mit Organismen anderer Arten vermehrungsfähige Nachkommen zu zeugen.
Gilt das auch für Orchideen uneingeschränkt? Können sich die natürlichen Primärhybriden wirklich nicht mehr weiter vermehren. Ich denke da z.B. an die großen Bestände von O. militaris x Orchis purpurea auf den TRockenrasen meiner Umgebung.

LG Peter

Alexa

Deine Frage zielt also darauf ab, ob alle Primärhybriden steril sind?
Ich versteh dein Anliegen nicht so ganz.

Phil

Der Artbegriff in der Zoologie ist strenger gezogen als in der Biologie. Der Artbegriff ist sowieso sehr schwer handhabbar. Jede starre Klassifizierung wird der Natur, einem dynamischen System, nicht gerecht.

Vielleicht hilft Wikipedia etwas:
http://de.wikipedia.org/wiki/Art_%28Biologie%29


ZitatViele Tier- und Pflanzenarten kreuzen sich auch in der Natur untereinander fruchtbar (Introgression), wie zum Beispiel verschiedene Steinkorallengattungen oder Mehlbeer-Bäume sowie verschiedene Arten aus der Familie der Lebendgebärenden Zahnkarpfen jeweils innerhalb einer Gattung, wie beispielsweise Platy und Schwertträger in der Gattung Xiphophorus. Orchideen können sich zum Teil sogar über Gattungsgrenzen hinweg fruchtbar kreuzen. Diese Hybriden sind in der Natur in der Minderheit, die verschiedenen morphologisch beschriebenen Orchideenarten bleiben daher nach dem morphologischen Artkonzept unterscheidbar. Nach dem biologischen Artkonzept handelt es sich dann um getrennte Arten, wenn sich Isolationsmechanismen herausgebildet haben, die eine Hybridisierung normalerweise verhindern, auch wenn sie physiologisch möglich wäre, z. B. klimabedingte Unterschiede bei Tieren in der Fortpflanzungszeit oder bei Pflanzen in der Blütezeit. Diese Mechanismen können zusammenbrechen (z. B. durch menschliches Eingreifen oder drastische Änderungen der Umwelt durch Klimaveränderungen). Dadurch werden dem Konzept nach vorher getrennte Arten wieder zu einer Art (z. B. bei manchen Orchideenarten in Mitteleuropa beobachtet). Derselbe Vorgang kann aber auch natürlich ablaufen (introgressive Hybridisierung).

Hybriden bei den Orchideen sind nicht zwingend steril.
Der Verstand und die Fähigkeit, ihn zu gebrauchen sind zwei verschiedene Gaben.
Franz Grillparzer

Berthold

Ich bin zwar kein Fachmann aber ich weiss, dass die klassische Definition der Art schon lange aufgeweicht worden ist.
Herr Paulus (Evolutionsbiologe in Wien) definiert die Art bei Ophrys gern nach den Bestäuber-Insekten, was ich für relativ unvernünftig halte, da die Insekten flexibel sind und gern auch mal ein "artfremdes Weibchen" beglücken möchten.

Gerade bei den Orchideen können sich viele "Arten" kreuzen und sind trotzdem voll fertil. Das gilt auch für Orchis militaris und Orchis purpurea.
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

pit

danke euch allen für die Antworten. Das ist ein schwieriges aber sehr interessantes Thema und ich hab mich einfach noch nicht genug damit beschäftigt. Ich denke gerade an Cattleya labiata und deren eng Verwandten, die man ja in einen "C. labiata-Komplex" zusammenfasst. Sie sind ja rein morphologisch ganz schwer zu unterscheiden, haben aber offenbar unterschiedliche Verbreitungsgebiete, besiedeln unterschiedliche Habitate und blühen evtl. auch zu unterschiedlichen Zeiten. Wenn ichs recht kapiert habe muss man diese unterschiedliche Faktoren im Gesamten berücksichtigen.
Ich habe mich die letzten Jahre recht intensiv mit unserer heimischen Flora beschäftigt und der Schmeil Fitchen sowie Rothmaler sind meine ständigen Begleiter auf bot. Exkursionen. Unsere heimischen Blütenpflanzen, so scheint mir, sind viel weniger morphologisch variabel als so manche tropische Orchideen, die ich auf meinen Fensterbrettern pflege. so kann man doch recht viele Blütenpflanzen auch außerhalb der Blütezeit an ihren vegetativen Merkmalen gut bestimmen. Kann es sein, dass die Orchideen genetisch auch hinsichtlich ihrer Morphologie wesentlich variabler sind? Ich habe zuhause beispielsweise 2 unterschiedliche Pflanzen der Art Anacheilium fragrans. Die eine Pflanze hat feste, fast sukkulente bis zu 4 cm breite Blätter und ca. 6 cm hohe Blüten während die andere Pflanze sehr weiches Laub hat, die Blätter sind max. 2 cm breit, die Blüten sind wesentlich kleiner und beide Pflanzen duften komplett anders???

Berthold

Zitat von: pit am 09.Dez.11 um 13:26 Uhr
Kann es sein, dass die Orchideen genetisch auch hinsichtlich ihrer Morphologie wesentlich variabler sind?

Das gilt auf jeden Fall für viele Orchideenarten.
Wahrscheinlich liegt es daran, dass die öklogischen Nischen, in denen sie wachsen nicht so eng sind und da können sie mit einer grösseren Streubreite ihrer Merkmale noch gut existieren.
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

kete

Irgendwo habe ich mal gelesen - aber ich kann nicht mehr finden, wo das war - dass die Orchideen als Art noch nicht so abgeschlossen seien wie andere botanische Arten, sondern sich immer noch in der Entwicklung befänden. Deshalb sei es auch möglich Mehrgattungshybriden zu erschaffen, was bei anderen Arten z.B. nicht ginge. Und gerade das sei das besonders Faszinierende an ihnen. Kann damit jemand was anfangen? Wo hab' ich das bloß wieder her...?  :ka
Hybriden !!!

Ricarda

Zitat von: kete am 09.Dez.11 um 14:01 Uhr
Irgendwo habe ich mal gelesen - aber ich kann nicht mehr finden, wo das war - dass die Orchideen als Art noch nicht so abgeschlossen seien wie andere botanische Arten, sondern sich immer noch in der Entwicklung befänden. Deshalb sei es auch möglich Mehrgattungshybriden zu erschaffen, was bei anderen Arten z.B. nicht ginge. Und gerade das sei das besonders Faszinierende an ihnen. Kann damit jemand was anfangen? Wo hab' ich das bloß wieder her...?  :ka

Abgeschlossen ist keine Art jemals. Es gibt nichts und niemanden in der Natur, das so etwas bestimmen könnte. Mutationsraten, Selektion, Konkurrenz und Wandel von Umweltbedingungen sorgen immer für Anpassung und Veränderungen, auch wenn die nach menschlichen Masstäben sehr langsam und unsichtbar wirken können. Auch kann es lokal sehr lange recht stabile Ökologien geben, wo sich nicht so viel verändert.

Bezüglich der Orchideen ist vielleicht gemeint (auch häufiger gelesen), dass sie als die Blütenpflanzen, die sie sind, noch zu einer evolutionär Recht jungen Pflanzenfamilie gehören (blühten vor 80 Mio Jahren) und also noch nicht so lange die ökologischen Nischen besiedeln und sich ausbreiten und dabei ausdifferenzieren. Es gibt viele Arten (und Gattungen), die aber genetisch noch so dicht beieinander liegen, dass sie untereinander kreuzbar sind. Je länger aber Variationen einer Art auseinanderdriften und sich in unterschiedliche Richtungen entwickeln, umso unterschiedlicher werden sie und umzu schwieriger kann man sie kreuzen. Man nimmt also die Tatsache der Kreuzbarkeit und führt sie auf die relative Jugend der Orchideen zurück.

Ich zitiere nur sinngemäß aus meiner Erinnerung - ich kann nicht beurteilen, ob das Sinn macht.

Timm Willem

Zitat von: Ricarda am 09.Dez.11 um 14:35 Uhr
Bezüglich der Orchideen ist vielleicht gemeint (auch häufiger gelesen), dass sie als die Blütenpflanzen, die sie sind, noch zu einer evolutionär Recht jungen Pflanzenfamilie gehören (blühten vor 80 Mio Jahren) und also noch nicht so lange die ökologischen Nischen besiedeln und sich ausbreiten und dabei ausdifferenzieren. Es gibt viele Arten (und Gattungen), die aber genetisch noch so dicht beieinander liegen, dass sie untereinander kreuzbar sind. Je länger aber Variationen einer Art auseinanderdriften und sich in unterschiedliche Richtungen entwickeln, umso unterschiedlicher werden sie und umzu schwieriger kann man sie kreuzen. Man nimmt also die Tatsache der Kreuzbarkeit und führt sie auf die relative Jugend der Orchideen zurück.
Das ist ein gutes Erklärungsmuster aber kein Beweis. Es gibt auch Argumente, die dies stark relativieren, so sind für bestimmte Koniferengattungen sehr enge Verwandtschaftsverhältnisse nachgewiesen, diese sind aber evolutionsbiologisch schon sehr lange getrennt.

pit

wenn wir gerade bei der Vermehrung sind:

Es gibt Orchideen, die durch Selbstbestäubung Früchte bilden können. Gibt es so etwas wie Kleistogamie bei den Orchideen? Ich gehe davon aus das mit Selbstbestäubung gemeint ist, dass der Pollen einer Blüte auf die Narbe der gleichen Blüte übertragen wird. Kann das auch bedeuten dass der Pollen auf eine Blüte der gleichen Pflanze übertragen wird?

Um die Fremdbestäubung , die ja der genetischen Rekombination dient, zu gewährleisten hat sich die Natur ja vielfältige Mechanismen eingerichtet, z.B. die Verteilung der Geschlechter auf unterschiedliche Pflanzen. Gibt es unter den Orchideen zweihäusige oder dreihäusige Arten? Ich kenne nur die Tricks vieler Stangen unterschiedliche Blüten zu bilden.

Gibt es "Vorweiblichkeit" oder "Vormännlichkeit" bei den Orchideen?

Was bedeutet in dem Zusammenhang:

Gattungsname Ephiteton x selbst
Gattungsname Ephiteton  x sib


wäre toll wenn mich jemand aufklärt

LG Pit

kete

Gattungsname Ephiteton x selbst = die Blüte einer Pflanze wird mit dem Pollen einer anderen Blüte der gleichen Pflanze bestäubt

Gattungsname Ephiteton  x sib = die Blüte einer Pflanze wird mit dem Pollen einer Blüte einer Geschwisterpflanze bestäubt
Hybriden !!!

pit


Ahriman

#12
Mal kurz zur Erklärung der Begriffe:

Geitonogamie: Fremdbestäubung von Blüten an derselben Pflanze. Effekt gleich Autogamie
Autogamie: Selbstbestäubung innerhalb einer Blüte
Kleistogamie: Sonderform der Autogamie bei der sich die Blüte gar nicht erst öffnet um für Bestäuber zugänglich zu werden. Auf das Knospenstadium folgt direkt die Kapselbildung.

Es gibt eine Reihe fakultativ - autogamer oder sogar kleistogamer Orchideenarten, z.B. Caularthron mit dem ich arbeite. C. bilamellatum bildet in Panama Populationen die fast ausschließlich kleistogam sind, vereinzelt werden aber auch normale chasmogame Blüten gebildet. Auch Cattleya patinii ist in dem Habitat großteils kleistogam.

Dressler (1981) schreibt über Selbstbestäubung (Autogamie):
"Diese Pflanzen tauschen die langfristigen Vorteile der Kreuzbestäubung gegen die kurzfristigen Vorteile der Produktion großer Samenmengen ein. Manchmal bestäuben solche Pflanzen sich selbst, ohne dass ihre Knospen sich öffnen. Dieses Phänomen bezeichnet man als Kleistogamie. Bei autogamen Orchideen kann das Rostellum als Teil der Narbe fungieren, das Pollinarium kann auf die Narbe fallen oder sich nach unten drehen, so dass es mit der Narbe in Berührung kommt. Oder es können überzählige Staubbeutel gebildet werden, die nicht durch ein Rostellum von der funktionsfähigen Narbe getrennt sind [das Fehlen eines Rostellums bei Caularthron der Fall]. Es ist durchaus möglich dass die natürliche Auslese zeitweilig Selbstbestäubung begünstigt, vor allem wenn sie mit einem anpassungsfähigen Genotyp kombiniert ist. Solche Pflanzen bilden mitunter Millionen von Samen und können regelrechte Unkräuter sein. Caularthron bilamellatum und Spathoglottis plicata sind selbstbestäubende Pflanzen und können an vereinzelten Standorten in großen Mengen vorkommen. Selbstbestäubung kann ein entscheidender Vorteil sein, wenn eine Pflanze sich in einem Gebiet ansiedeln will, in dem ihr Bestäuber nicht vorkommt. So findet man zum Beispiel auf den karibischen Inseln und in Florida autogame Formen von Arten, die auf dem Festland des tropischen Amerika in ihren 'normalen' kreuzbestäubten Formen vertreten sind. Es gibt nur sehr wenige Arten die hundertprozentig autogam sind. Die meisten haben nebenbei auch noch die Möglichkeit der Kreuzbestäubung. Bei Cattleya aurantiaca und C. patinii gibt es mehrere verschiedene Formen: Einige Pflanzen sind immer autogam oder sogar kleistogam, einige sind niemals autogam und einige haben - je nach Umweltbedingungen - sowohl die Möglichkeit der Selbstbestäubung als auch der Kreuzbestäubung. In einem Gebiet in Chiapas (Mexiko), in dem Epidendrum nocturnum und E. latifolium vorkommen, fand ich bei E. latifolium nur kleistogame Blüten, entdeckte aber auch zwei Pflanzen die allem Anschein nach Hybriden zwischen E. latifolium und E. nocturnum waren. Offensichtlich bildet E. latifolium also gelegentlich auch Blüten, die sich öffnen und zur Kreuzbestäubung in der Lage sind. Bei Blüten die sich selbst bestäuben, sind viele üblichen Orchideenmerkmale überflüssig. Auch Mutationen mit kronblattartigen Lippen (labelloide Formen), verkrüppelten Säulen usw. können überleben und sich sogar vermehren wenn sie zur Selbstbestäubung in der Lage sind. In autogamen Populationen (u.a. bei Encyclia cochleata, E. bootahiana und Psilochilus physurifolius) kommen häufig Blüten mit drei fruchtbaren Staubbeuteln vor. Selbstbestäubung ist bei den Saprophyten weit häufiger verbreitet und kommt bei den primitiven Orchideengruppen weit häufiger vor als bei den höherentwickelten." [ob das nach dem heutigen taxonomischen Standpunkt noch zu halten ist weiß ich nicht]

Davon zu unterscheiden ist Apomixis also eine direkte Bildung von genetisch identischen Embryonen ohne dass davor durch Meiose Keimzellen gebildet werden. Die Nachkommen sind exakte Klone der Elternpflanze (das ist bei Autogamie nicht der Fall)!

Dressler (1981) dazu:
"Dies ist zum Beispiel bei Spiranthes cernua, Dactylorhiza maculata, Zeuxine sulcata, Zygopetalum intermedium und einigen anderen Orchideen beobachtet worden. Ebenso wie die Autogamie ist die Apomixis (zumindest bei Orchideen) nur selten die einzige Form der Fortpflanzung. Bei manchen Arten kommt sie nur vor, wenn die Blüten gar nicht, oder von Pollinien einer anderen Art bestäubt wurden."

Über Dichogamie (Vormännlichkeit/-weiblichkeit) bei Orchideen ist mir nichts bekannt...  :ka

Dimorphe Blüten gibt es bei Catasetinae wie Catasetum, Cycnoches und Mormodes, hier können entweder rein welbliche oder männliche Blütenstände auftreten als auch beide Blütenformen an einem Blütenstand, als auch "hermaphroditische" Mischformen zwischen rein männlichen oder weiblichen Blüten (Subdiözie)
Grundsätzlich bilden starke Pflanzen an sonnigen Standorten eher weibliche Blüten, junge oder schwache Pflanzen an schattigen Standorten eher männliche Blüten.
Das ist insofern sinnvoll als die Produktion von Kapseln weit mehr ressourcen verbraucht als die Bildung von Pollinien.


LG,
Christian