Mykorrhiza Basics am Beispiel Himantoglossum hircinum am Naturstandort

Begonnen von Alexa, 21.Jan.10 um 20:36 Uhr

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Alexa

Hallo Erdorchi- Spezialisten!

Im letzten Jahr habe ich, auf dem Areal der Klinik in der ich beschäftigt bin, einen Standort von Himantoglossum hircinum entdeckt.
Geballt stehen die Pflanzen auf einem kleinen Rasenstück direkt neben der Straße, scheinen sich aber langsam über die große Rasenfläche vor der Klinik auszusäen.
Der Gärtner weiß um diesen Bestand und ist bemüht, während des Frühsommers beim Mähen darauf zu achten, einzelne Pflanzen zu schützen und schneidet immer drumherum.

Unsere Klinik gehört zu einer Holding. Die haben nun Ende letzten Jahres beschlossen, das Haus neu zu bauen und das alte Gebäude abzureißen.
Die Planungen beginnen nun und es werden auch vom Personal Ideen, Wünsche und Anregungen gesammelt.

Mein Anliegen ist es natürlich, diesen Orchideenstandort möglichst zu erhalten, wenn auch nur Teile. Ich hatte auch schon einen kleinen Small- Talk mit dem leitenden Arzt der Klinik auf dem Flur.
Von dem Standort in "seinem Vorgarten" wusste er bisher nicht, zeigte sich aber sehr zugewandt. Er sei sehr interessiert an heimischer Flora und oft in der Natur mit dem Schmeil- Fitschen unterwegs, habe auch schon Orchideen bei uns im Umkreis gesehen.
Wir haben verabredet, dass ich mich melde und ihm die Pflanzen zeige.

Schön und gut. Wenn ich dem da jetzt Einen erzählen will und Interesse für den Erhalt der Rasenflächen wecken möchte, muss ich es fachlich auf dem Kasten haben.

So einigermaßen habe ich ja schon verstanden, wie Erdorchideen funktionieren. Sie brauchen Mykorrhiza um existieren zu können.

Aber was macht der Pilz genau?
Er schützt die Pflanze vor anderen Pilzen, also vor Fäulnis und die Samen brauchen spezielle Pilze, um zu keimen (bezeichnet man diese Abhängigkeit auch als Mykorrhiza?) - hab ich das richtig verstanden?

Wie versorgt der Pilz die Pflanze mit welchen mit Nährstoffen?

Was erhält der Pilz von der Pflanze im Gegenzug? Wie ernähert der sich? Wenn nicht von der Orchidee, inwieweit wäre es dann wichtig Begleitflora ebenso zu erhalten wie die Riemenzungen um den Pilz zu ernähren?

Der Orchideensamen hat keinen eigenen Nährkörper, welche Funktion übernimmt da der Pilz?

Ich habe schon bei Wikipedia etwas gelesen, habe mich da aber nicht so durchwurschteln und das auf die Riemenzungen übertragen können.

Bitte um eine Hilfe, um ein Basiswissen zu Mykorrhiza in Bezug auf Erdorchideen, in diesem Fall Himantoglossum, schaffen zu können, auf dem ich aufbauen kann.

Danke
Alexa


Uhu

Hallo Alexa,

hab gerad noch für morgen abend einige Portionen Nährboden gekocht und Gläser durchgeschaut. Bevor ich mich darum kümmere darf ich morgen noch ein paar Stündchen arbeiten.

Daher kann ich auf die komplexen Fragen zu den INteraktionen Pilz/Orchidee gar nichts schreiben. Wahrscheinlich stimmt einfach der Standort und sowohl großräumiges als auch kleinräumiges Klima.
Ehemalige Verwandschaft in Reutlingen fand häufiger Waldvöglein im Vorgärten. In einem verwilderten Garten hab ich dort sogar mal Orchis pallens entdeckt.

Falls die Fläch beim Umbau nicht gschont werden kann hilft möglicherweise die gezielte Anlage von extensiven Magerwiesen auf dem Gelände. Dort könnte gezielt angesät werden. Der Gärtner unserer Uni-Kliniken ist ebenfalls ein entusiastischer Unkrautzüchter - mit gutem Erfolg.

Gruß Jürgen
Grüße Jürgen

Berthold

Zitat von: Alexa am 21.Jan.10 um 20:36 Uhr
Schön und gut. Wenn ich dem da jetzt Einen erzählen will und Interesse für den Erhalt der Rasenflächen wecken möchte, muss ich es fachlich auf dem Kasten haben.

So einigermaßen habe ich ja schon verstanden, wie Erdorchideen funktionieren. Sie brauchen Mykorrhiza um existieren zu können.

Aber was macht der Pilz genau?
Er schützt die Pflanze vor anderen Pilzen, also vor Fäulnis und die Samen brauchen spezielle Pilze, um zu keimen (bezeichnet man diese Abhängigkeit auch als Mykorrhiza?) - hab ich das richtig verstanden?

Wie versorgt der Pilz die Pflanze mit welchen mit Nährstoffen?

Was erhält der Pilz von der Pflanze im Gegenzug? Wie ernähert der sich? Wenn nicht von der Orchidee, inwieweit wäre es dann wichtig Begleitflora ebenso zu erhalten wie die Riemenzungen um den Pilz zu ernähren?

Der Orchideensamen hat keinen eigenen Nährkörper, welche Funktion übernimmt da der Pilz?

Ich habe schon bei Wikipedia etwas gelesen, habe mich da aber nicht so durchwurschteln und das auf die Riemenzungen übertragen können.

Bitte um eine Hilfe, um ein Basiswissen zu Mykorrhiza in Bezug auf Erdorchideen, in diesem Fall Himantoglossum, schaffen zu können, auf dem ich aufbauen kann.

Danke
Alexa


Na gut, wie sag ichs meinem Kinde? Ich meine, dass Dein Verwaltungsarzt das versteht.

Heute zur Keimung:
Die Orchideensamen sind sehr klein und haben kaum Reservestoffe, um damit keimen zu könne. Sie brauchen deshalb dazu Hilfe von aussen und da gibt es 2 Möglichkeiten:
1. Die Samen liegen in einer Art Zuckerlösung, diesem Gelee Royal, das der Claus in seinen Gläsern kocht oder
2. sie missbrauchen Pilze aus ihrer Umgebung

Den Hochleistungsnährboden mit allen zur Keimung notwendigen Komponenten (Zucker ist der wichtigste) gibt es aber in der Natur nicht. Wenn es ihn gäbe, würde er sofort von den Mikroorganismen und Pilzen im Boden aufgefressen. Deshalb müssen die Samen in der Natur sich auf die Pilze konzentrieren.
Nun gibt es viele Pilze im Boden und die wollen alle nichts Gutes von dem Samen. Deshalb hat der Samen von Himantoglossum ein nachgewiesenes Fungizid eingebaut.
Einige wenige Pilze schaffen es aber doch ein gewisses Stück in den Samen hineinzuwachsen, um ihn verstoffwechseln zu können (Endomykorrhiza). Aber der Samen dreht den Spiess um und löst die Pilzhyphen enzymatisch auf. Dabei gelangt Körperflüssigkeit des Pilzes (im wesentlichen Kohlenhydrate) in das Orchideenprotokorm, welche dieses zur Ernährung verwendet. So wächst das Protokorm zu einer gewissen Grösse heran, bis es dann Wurzeln bildet und sich selbständig ernähren kann. Der Starterpilz wird dann meist später vollständig aus der Orchidee verdrängt und die Orchidee kann dann mit eigenem Blattgrün theoretisch allein ohne Pilzunterstützung weiterwachsen.

Wenn der Arzt fragt, warum die Orchideensamen so klein sind, kannst Du antworten, die Orchide kann deshalb sehr viele Samen produzieren, die sie genetisch unterschiedlich ausstatten kann und die weit fliegen können, ein Vorteil bei der Evolution, dem die Kleinheit des Samens als Nachteil gegenübersteht.

So, morgen das nächste Kapitel.



Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

Tobias

Zitat von: Alexa am 21.Jan.10 um 20:36 Uhr
So einigermaßen habe ich ja schon verstanden, wie Erdorchideen funktionieren. Sie brauchen Mykorrhiza um existieren zu können.

Aber was macht der Pilz genau?
Er schützt die Pflanze vor anderen Pilzen, also vor Fäulnis und die Samen brauchen spezielle Pilze, um zu keimen (bezeichnet man diese Abhängigkeit auch als Mykorrhiza?) - hab ich das richtig verstanden? Der Pilz der den Schutz vor Fäulnis bittet ist ein anderer als den, den die Orchideen zum keimen brauchen, er ist meiner Meinung nach kein Mykorrhiza.
Der Keimpilz ist der Mykorrhiza.

Wie versorgt der Pilz die Pflanze mit welchen mit Nährstoffen?
Siehe Bertolds Antwort.

Was erhält der Pilz von der Pflanze im Gegenzug? Wie ernähert der sich? Wenn nicht von der Orchidee, inwieweit wäre es dann wichtig Begleitflora ebenso zu erhalten wie die Riemenzungen um den Pilz zu ernähren?
Der Pilz erhält im Gegenzug nichts, was könnte die Orchidee ihm den auch liefern?
Sieh kann ja noch keine Photosynthese betreiben (kein Blattgrün) und Wurzeln um Mineralstoffe aufzunehmen hat sie auch nicht. Der Pilz ernäht sich von organischem Material,
also Blatter, altes Holz usw., könnte aber auch mit Pflanzen in der Umgebung (besonders Baume) eine Symbiose eingegangen sein.

Der Orchideensamen hat keinen eigenen Nährkörper, welche Funktion übernimmt da der Pilz? Siehe Bertholds Antwort.

So, ich hoffe das ist richtig, wenn nicht berichtigt mich.

lg Tobias
Liebe Grüße
Tobias

Catwheazle

Hi,

versuch doch mal vom einheimischen AHO (Arbeitskreis einheimische Orchideen)
jemand zu bezirzen in der Klinik einen Patientenvortrag zu halten ;-)
Die machen das gerne, manche Patienten interessiert es und bei uns sitzt dann halt auch der diensthabende Doc mit dabei.
Sind halt ne Psychosomatik, da sind die Dienste für die Ärzte oft ruhiger.

Bei uns wachsen auch Orchideen auf dem Gelände. Im Gegensatz zu euch ist unser Gärtner "etwas grober". (Liegt möglicherweise aber auch am Verwaltungsleiter)
Jedenfalls habens die Cephalanthera nicht überlebt :-(

Viele Grüße
Bernd
οἶδα οὐκ εἰδώς, oîda ouk eidōs

Alexa

Gute Idee, danke Bernd!