Sind Wildlinge "besser" als Kulturlinge?

Begonnen von Reinhold, 02.Sep.15 um 12:49 Uhr

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Reinhold

Die Geschichte geht so.

Es war einmal ein Düsenjetter, der aus Fernost einen Karton mit "Gemüse" mitbrachte.
Zerrupft, zusammengeschrumpft, untauglich zum Verzehr oder jedwede Tafel.

Die Anweisung hieß: probier's halt mal.
Und siehe da, nicht ein einziges Pflänzchen gab auf, sondern mutierte (und immer noch weiter) zu
vitaler Jungpflanze.
Da ergibt sich die Frage...
Sind Naturentnahmen genetisch fitter als Nachzüchtungen?
Die einen wurden hart selektiert durch Mutter Natur, die anderen wurden umhegt aufgepäppelt.
;-)
R.
Im Forum steht alles; auch das Gegenteil.

Berthold

Die Selektion in der Natur erfolgt aber durch Bildung komplexerer Lebensgemeinschaften, in der die Orchidee existieren kann. Dazu gehören Pilze und Bakterien, die teilweise die Orchidee schützen von Infektionen und Parasiten.

Diese Lebensgemeinschaft bricht schnell in der Topkultur zusammen und die Pflanze fängt sich Infektionen ein. Deshalb sind in China wild gesammelte Pflanze hier sehr oft zu schnellen Absterben verurteilt.
Da ist eine Selektion hier vor Ort mit den hiesigen Infektionskeimen notwendig.
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

Reinhold

Zitat von: Berthold am 02.Sep.15 um 13:01 Uhr
Die Selektion in der Natur erfolgt aber durch Bildung komplexerer Lebensgemeinschaften, in der die Orchidee existieren kann. Dazu gehören Pilze und Bakterien, die teilweise die Orchidee schützen von Infektionen und Parasiten.

Diese Lebensgemeinschaft bricht schnell in der Topkultur zusammen und die Pflanze fängt sich Infektionen ein. Deshalb sind in China wild gesammelte Pflanze hier sehr oft zu schnellen Absterben verurteilt.
Da ist eine Selektion hier vor Ort mit den hiesigen Infektionskeimen notwendig.

Aber sie sterben nicht ab, sondern entwickeln sich prächtig.
Haben sie die bessere Veranlagung (Gene) durch Selektion geerbt?
Und dagegen nun die "Sozialpflänzchen" aus dem Großgewächshaus?
BG
R.
Im Forum steht alles; auch das Gegenteil.

FlorianO

Das kann man nicht so einfach pauschal sagen, es gibt empfindliche Hybriden aber auch welche die auf Wüchsigkeit selektiert sind wie zb die meisten Phalaenopsis Complex Hybriden. Da kommt keine Naturform mit...
Handelt es sich bei deinen Pflanzen um Erdorchideen oder Epiphyten. Meiner Erfahrung nach lassen sich Epiphyten im Vergleich zu Erdorchideen immer recht schnell etablieren egal welcher Gattung.

Berthold

Das ist sicherlich nicht zu verallgemeiner. Bei den Arten ist auch entscheidend, wie stark sie in der Natur von Lebensgemeinsschaften abhängen. Da gibt es extrem grosse Unterschiede.

Bei den kultivierten Pflanzen gibt es auch grosse Unterschiede in der Robustheit-Qualität, je nachdem was das Zuchtziel war.
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

Reinhold

Leider sind das nicht meine Pflanzen.
Ich habe sie nur anschauen, aber nicht mitnehmen dürfen...
;-)
Es sind alles Frauenschuhe.

Der Vorzustand war erbärmlich. Da würde ich mich überhaupt nicht rantrauen, aus
so einem Material in schlechtem Zustand noch irgendwas machen zu können.
Um so bemerkenswerter ist, wie sie loswachsen - alle!

Das geklonte Zuchtziel der Massenproduktion wird vermutlich Geldverdienen sein.
Es wäre vermutlich in diesem Sinne nachgerade kontraproduktiv, robuste, langlebige Pflanzen zu erzeugen.
BG
R.
Im Forum steht alles; auch das Gegenteil.

FlorianO

das kann nicht stimmen, die Langlebigsten robustesten Pflanzen die ich kenne sind die aus der Massenproduktion, du musst ja nur in die deutschen Fenster schauen was da bei Heizungsluft im halb dunklen blüht und teilweise über Jahrzehnte gut dasteht.

Berthold

Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

Reinhold

#8
Zitat von: Berthold am 02.Sep.15 um 15:48 Uhr
Zitat von: Reinhold am 02.Sep.15 um 13:33 Uhr

Es sind alles Frauenschuhe.
Welche Gattung meinst Du?

Ich meine, ob Wildpflanzen bessere Gene haben als Zuchtpflanzen.
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Berthold

Viele Arten von Paphiopedilum sind nicht auf komplexe Lebensgemeinschaften angewiesen, deshalb lassen sich Wildexemplare auch leicht weiter kultivieren.
Bei einigen Cypripedium-Arten sieht die Sache deutlich anders aus. Da sind jedoch die chinesischen noch harmlos im Vergleich zu einigen amerikanischen Arten.

Was meinst Du mit "besseren" Genen, wofür besser geeignet, für das Leben in Kultur oder in der Natur?
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

plantsman

Moin,

Wildentnahmen sind im Allgemeinen schwieriger als hiesige Kulturpflanzen. Wie in Kultur hat auch am Standort eine Auslese stattgefunden. Es haben dort nur die Pflanzen überlebt, die an dem Punkt, wo das Samenkorn hingefallen ist, alle Hürden für ein Überleben genommen haben und mit den Eigenschaften ihres Lebensraumes (Boden, Wasserhaushalt, Kleinklima, andere Lebewesen) am Besten klargekommen sind. Wenn die genetische Ausstattung dieser Wildentnahme aber so ist, daß sie sich leicht an verschiedene ökologische Parameter anpassen kann, also eher ein Generalist ist, kann sie sich auch unter Kulturbedingungen gut entwickeln. Je spezieller die Ansprüche sind, um so schwieriger wird es.
Ein Paphi ist in dieser Hinsicht sicher leichter als z.B. Bulbophyllum reticulatum oder Pecteilis susannae.
Bei der Aussaat in vitro findet unter den Sämlingen auch schon eine Auslese statt. Nach dem Ausflaschen und Eintopfen geht es weiter. Zum Schluß bleiben auch hier nur die unter diesen Bedingungen lebensfähigsten Individuen übrig. Bei Generalisten sind es viele, bei Spezialisten dementsprechend weniger. Wenn man einen Standortspezialisten ausgesät hat, kann es aber passieren, daß zwar nicht viele überleben, aber die, die es tun, sind an Kulturstandorte schon besser angepasst und aus diesem Grund Wildentnahmen absolut überlegen. Wenn diese Nachkommen dann wiederum untereinander bestäubt werden, kommt es über mehrere Generationen zu einem Strain, der gut an die gärtnerische Kultur angepasst ist und fast vergessen lässt, daß er eigentlich ein Spezialist ist.

Hochzucht-Phlopsen werden möglicherweise auf Kurzlebigkeit ausgelesen. Das könnte ich mir vorstellen. Für Liebhaber-Kultivateure und Spezial-Gärtnereien hat aber eher die Auslese von leichter zu pflegenden Individuen mit höherer Lebensdauer Priorität.
Tschüssing
Stefan

Reinhold

Warum sollte ein Frauenschuh aus einem Großgewächshaus auf komplexe Lebensgemeinschaften angewiesen sein?
Ich meine, er steht da unter 19.999 Gleichgesinnten. Komplex erscheint mir diese Lebensgemeinschaft nicht.
Eher steril, uniform.
Er scheint angewiesen auf feine Temperaturregler und derlei mehr.
Aber so eine Pflanze am Standort, naja, die lebt doch mittendrin in der Vielfalt, in der Komplexität, im Überlebenskampf.
Oder nicht?

Bildet sich die unterschiedliche Struktur der Lebensgemeinschaft auf die Gene ab?
Und wäre dann eine Wildpflanze fitter für's Leben, auch auf der Fensterbank?

:hunt
R.
Im Forum steht alles; auch das Gegenteil.

plantsman

Moin,

diese Komplexität am Standort ist DAS Problem. Jeden Quadratzentimeter ändert sich der Lebensraum minimal. Oben hab ich ja schon geschrieben, wie es in der Natur aussieht und wie sich die ganze Sachlage für mich darstellt.
Tschüssing
Stefan

Reinhold

@ plantsman

Sorry, habe geschrieben, während Dein Beitrag kam.

Also, ist das die Frage, ob eine Pflanze in Natur dort wächst, wo sie am besten hinpaßt (genetisch?) oder
wo sie gerade noch unter Konkurrenz überleben kann?
Du sagst
"Zum Schluß bleiben auch hier nur die unter diesen Bedingungen lebensfähigsten Individuen übrig."
Ok, das heißt aber nicht, daß diese Auswahl unter anderen Bedingungen nicht genau so gut zurecht käme oder sogar besser.
Wer den Streß des freien Naturlebens überstanden hat, der schafft auch den Transportkarton nach Deutschland und das dortige "Sozialleben" im gepflegten Gewächshaus.
Was ist aber mit den sorgfältig, feindosiert, optimal gepflegten Kulturpflanzen vom Züchter? Haben die nicht die schlechteren Karten? Denn sie wechseln in den Streß?
;-)
R.
Im Forum steht alles; auch das Gegenteil.

Berthold

Zitat von: Reinhold am 02.Sep.15 um 21:57 Uhr
Wer den Streß des freien Naturlebens überstanden hat, der schafft auch den Transportkarton nach Deutschland und das dortige "Sozialleben" im gepflegten Gewächshaus.


nein, eben nicht zwingend. Die Pflanze ist genetisch auf das Naturleben an einem ganz betimmten Standort mit seiner komplexen Lebengemeinschaft optimiert. Da die Bedingungen in der Kultur meist erheblich unterschiedlich sind, kann die Wildpflanze in Kultur in erhebliche Schwierigkeiten geraten, z. B. blitzartig abfaulen.
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)