Definition der Arten nach ihren Bestäubern sinnvoll?

Begonnen von walter b., 27.Feb.13 um 23:35 Uhr

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Berthold

Gibt es in dem System der Artenbestimmung nach dem Bestäuber Unterarten, Variationen und Formen?
Wenn diese von unterschiedlichen Bestäubern bestäubt werden, wären es alle unterschiedliche Arten. Wenn sie vom selben Bestäuber bestäubt würden, wären es alle die selbe Art ohne Differenzierungen.
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

sokol

Berthold, es gibt kein System, das nur nach dem Bestäuber geht. Das funktioniert auch bei Ophrys nicht. Dann wären um nur ein Beispiel zu wählen Ophrys atlantica, Ophrys bertolonii und Ophrys ferrum-equinum eine Art, es gibt aber viele weitere Beispiele.
Jeder seriöse Wissenschaftler zieht in seine Schlussfolgerungen mehrere Ansätze in seine Betrachtungen ein. Bei Ophrys wären das neben dem Bestäuber Genuntersuchungen, Standortanspüche, Blütezeit und natürlich auch Morphologie.

Anderes Beispiel, Ophrys normanii und Ophrys chestermannii haben den gleichen Bestäuber und kommen zuammen vor. Du bezeichnest Ophrys normanii immer als Hybriden. Dagegen haben Genuntersuchungen gezeigt, dass Ophrys normanii zwar mit Ophrys neglecta verwandt ist und sich aus dieser durch Spezialisierung auf einen anderen Bestäuber entwickelt hat, nicht aber mit Ophrys chestermannii, der sie in der Färbung ähnelt. Das ist Konvergenz aufgrund des gleichen Bestäubers, wie man sie vielfach in Tier- und Pflanzenwelt beobachten kann, z.B. bei Beuteltieren und Plazentatieren, Geiern und Neuweltgeiern, ... .
LG Stefan

Berthold

Zitat von: sokol am 19.Okt.15 um 21:21 Uhr
Berthold, es gibt kein System, das nur nach dem Bestäuber geht. Das funktioniert auch bei Ophrys nicht. Dann wären um nur ein Beispiel zu wählen Ophrys atlantica, Ophrys bertolonii und Ophrys ferrum-equinum eine Art, es gibt aber viele weitere Beispiele.
Jeder seriöse Wissenschaftler zieht in seine Schlussfolgerungen mehrere Ansätze in seine Betrachtungen ein. Bei Ophrys wären das neben dem Bestäuber Genuntersuchungen, Standortanspüche, Blütezeit und natürlich auch Morphologie.

Ja, das ist plausibel und macht Sinn.
Ich hatte den Ansatz von Paulus anders verstanden, habe aber nie genau nachgelesen.
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

Berthold

Zitat von: sokol am 19.Okt.15 um 21:21 Uhr

Jeder seriöse Wissenschaftler zieht in seine Schlussfolgerungen mehrere Ansätze in seine Betrachtungen ein. Bei Ophrys wären das neben dem Bestäuber Genuntersuchungen, Standortanspüche, Blütezeit und natürlich auch Morphologie.

Wenn man genau überlegt, helfen die unterschiedlichen Kriterien zur Artbestimmung nicht immer weiter, denn sie können sich widersprechen. Was macht man dann?
Beispiel:
Bestäuber und Morphologie spricht für eine Art, Blütezeit und Standortanspruch für eine unterschiedliche Art. Dann wäre die Festlegung auf eine Art willkürlich und nicht rational nachvollziehbar.
Eventuell könnte man dann noch auf eine Unterart oder eine Variation ausweichen. Eine Sippe würde zur Art gehören.
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

sokol

Zitat von: johan am 14.Okt.15 um 14:45 Uhr
100% recht hast berthold
es gibt zuviel schreibtischarten :-D :-D :-D

Meinst du damit die Schreibtischtäter in Kew, die fast jede Neubeschreibung vom Schreibtisch aus in die Synonymie verweisen, egal wie sinnvoll die Beschreibung war oder nicht? :swoon
LG Stefan

Berthold

Ja, ich habe auch den Eindruck, das man es sich bei Kew oft etwas einfach macht.
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

walter b.

Ja, so wurde ja zum Beispiel Ophrys pallida in die Synonymie von O. fusca verschoben...   :pill

Berthold

#97
Ophrys normanii und Ophrys chestermannii kommen beide auf Sardinien am selben Standort vor und blühen zu gleichen Zeit.
Ausserdem senden beide Arten den gleichen Pheromon-Cocktail aus und werden von gleichen Bestäuber bestäubt.

Jetzt wurde festgestellt, dass beide Arten sich genetisch deutlich unterscheiden und trotz des gleichen Bestäubers nur sehr wenige Bastarde bilden.

Diese Erkenntnis widerspricht dem Verfahren, die Art einer Ophrys nach dem Bestäuber zu bestimmen, wie von Paulus/Wien gern praktiziert wird.

Increased divergence in floral morphology strongly reduces gene flow in sympatric sexually deceptive orchids with the same pollinator

Julia Gögler, Johannes Stökl, Pierluigi Cortis, Heinrich Beyrle, Maria Rosaria, Barone Lumaga, Salvatore Cozzolino &
Manfred Ayasse

Evolutionary Ecology
ISSN 0269-7653
Evol Ecol
DOI 10.1007/s10682-015-9779-2
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

walter b.

Hallo Berthold,

das ist interessant!

Würde mich ab er interessieren wie sich die beiden Arten überhaupt entwickeln konnten, sich dann nicht vermischen und das ganze in einer riesigen Melange endet...

Viele Grüße
Walter

Berthold

Walter, es soll an einem geringfügigen morphologischen Unterschied im Blütenaufbau beider Arten liegen, was ich jedoch nicht verstehe.
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

walter b.

Berthold, Du machst mich wirklich neugierig!

sokol

Folgende Beobachtungen sind in dem Artikel beschrieben:

Among the successful pseudocopulations, there were three interspecific cross-pollinations. One B. vestalis male, carrying pollinaria of O. normanii, pseudocopulated with two different flowers of O. chestermanii. In both pseudocopulations, normanii pollinaria did not fit into the stigmatic cavity of O. chestermanii and both flowers were not pollinated (see Supplementary Videos 1 and 2). One male, carrying pollinaria of O. chestermanii, pseudocopulated with O. normanii, and in this case, the visited flower of O. normanii was pollinated.

Ich denke, dass der entscheidende Faktor im Artikel nicht richtig rausgearbeitet wurde: wenn der Bestäuber von O. chestermannii Pollinien entnimmt, dann werden diese an Position 1 des Kopfes geheftet. Bei Ophrys normani wäre es Position 2. Wenn danach die jeweils andere Art aufgesucht wird, dann werden die Pollinien nicht in die Narbenhöhle, sondern an eine andere Stelle gedrückt und es erfolgt im Normalfall keine Bestäubung.

Ein viel einfacher zu verstehendes Beispiel sind Gymandenia conopsea und odorotissima. Beide werden von Nachtfaltern bestäubt, die im Sporn nach Nektar suchen. Der richtige Bestäuber von Gymandenia conopsea hat einen langen Rüssel und die Pollinien werden am Kopf angeheftet. Versucht er es danach bei G. odorotissima mit dem wesentlich kürzeren Sporn, dann kommen die Pollinien nie in die Nähe der Narbe und es erfolgt keine Bestäubung.
Umgekehrt funktioniert die Bestäubung schon, also Nachtfalter mit kurzem Rüssel entnimmt Pollinien bei G. odorotissima und kann sie leichter bei G. conopsea anheften. Allerdings lernt der Nachtfalter schnell, dass er hier nicht an den Nektar kommt und besucht G. conopsea nicht mehr.

Berthold, ich sehe hier keinen Widerspruch:
Diese Erkenntnis widerspricht dem Verfahren, die Art einer Ophrys nach dem Bestäuber zu bestimmen, wie von Paulus/Wien gern praktiziert wird.
Paulus fordert weder eine 1:1 Beziehung, noch hat er sich jemals nur auf den Bestäuber verlassen.

Was ich am interessantesten finde ist, dass es keine genetische Barriere zwischen O. normani und O. chestermannii gibt, sondern nur eine morphologische. Wir haben wie viele andere auch keine Hybriden zwischen den beiden Arten gefunden, obwohl sie im gleichen Biotop vorkommen und den gleichen Bestäuber haben. Künstliche Hybriden kann man aber offensichtlich erzeugen.


LG Stefan

Berthold

#102
Zitat von: sokol am 25.Feb.16 um 21:43 Uhr

Ich denke, dass der entscheidende Faktor im Artikel nicht richtig rausgearbeitet wurde: wenn der Bestäuber von O. chestermannii Pollinien entnimmt, dann werden diese an Position 1 des Kopfes geheftet. Bei Ophrys normani wäre es Position 2. Wenn danach die jeweils andere Art aufgesucht wird, dann werden die Pollinien nicht in die Narbenhöhle, sondern an eine andere Stelle gedrückt und es erfolgt im Normalfall keine Bestäubung.

Ein viel einfacher zu verstehendes Beispiel sind Gymandenia conopsea und odorotissima. Beide werden von Nachtfaltern bestäubt, die im Sporn nach Nektar suchen. Der richtige Bestäuber von Gymandenia conopsea hat einen langen Rüssel und die Pollinien werden am Kopf angeheftet. Versucht er es danach bei G. odorotissima mit dem wesentlich kürzeren Sporn, dann kommen die Pollinien nie in die Nähe der Narbe und es erfolgt keine Bestäubung.
Umgekehrt funktioniert die Bestäubung schon, also Nachtfalter mit kurzem Rüssel entnimmt Pollinien bei G. odorotissima und kann sie leichter bei G. conopsea anheften. Allerdings lernt der Nachtfalter schnell, dass er hier nicht an den Nektar kommt und besucht G. conopsea nicht mehr.

Stefan das ist genau mein Problem.
Die Stelle am Kopf des Bestäubers, wo die Polline kleben bleibt muss zu der Position der Narbe in der Blüte passen.
Jetzt kann ich mir schwer eine Geometrie vorstellen, bei der die Kreuzbestäubung in beide Richtigen nicht klappt.
Sie würde nur dann in beide Richtungen nicht klappen, wenn z. B. die eine Ophrys-Art ihre Pollen auf der linken Kopfseite des Bestäubers ankleben würde und die Narbe dieser Art auch auf der linken Seite des Blütenmundes wäre.
Bei der anderen Art müsste sich alles auf der rechten Seite abspielen.
Aber so eine asymetrische Geometrie gibt es doch sicherlich nicht.

Ich kann mir nur eine Geometrie vorstellen, bei der die Kreuz-Bestäubung nur in einer Richtung nicht klappt, in der anderen Richtung jedoch wohl.
Wenn z. B. die eine Art ganz lange Pollinen hat und die Narbe weit hinten im Blütenmund sitzt, währen die andere Art kurze Pollinen besitzt mit einer Narbe ganz vorn in der Blüte, dann könnten die kurzen Pollinen die Narbe der anderen Art ganz hinten in der Blüte nie erreichen. Umgekehrt ging es aber bequem.

"One B. vestalis male, carrying pollinaria of O. normanii, pseudocopulated with two different flowers of O. chestermanii. In both pseudocopulations, normanii pollinaria did not fit into the stigmatic cavity of O. chestermanii and both flowers were not pollinated (see Supplementary Videos 1 and 2). One male, carrying pollinaria of O. chestermanii, pseudocopulated with O. normanii, and in this case, the visited flower of O. normanii was pollinated."

Das ist genau, was ich sage. Die normanii-Pollinen passen nicht in die chestermannii-Blüte hinein und können chestermanii nicht bestäuben, aber umgekehrt geht es gut.
Es sollte also eine Hybridisierung geben, wenn nicht, muss es an etwas anderem liegen als an der Blütenmorphologie. Dann wäre die Schlussfolgerung dieser Arbeit falsch.


Dein Beispiel mit den beiden Gymnadenia-Arten hilft nicht weiter, denn da gibt es unterschiedliche Bestäuber, nämlich einen mit einem langen und einen mit einem kurzen Rüssel.
Dass dabei keine Kreuzbestäubung sattfinden kann, ist klar.
Bei den beiden Ophrys ist es jedoch der selbe Bestäuber für beide Arten.
Weniger gelobt ist genug kritisiert (frei nach Peter Altmaier)

johan


walter b.

Hallo Stefan,
vielen Dank für die wunderschönen Bilder!
Toll, was Du alles gefunden hast!!!

Ohne Beschreibungen sehen diese ganzen Hummeln ziemlich gleich aus, ich frage mich zum Beispiel nach dem Unterschied zwischen O. cinnabarina und gracilis. Irgendwie verschwimmen bei der Betrachtung die Merkmale...

Aber wie sagt doch Dr. Paulus: wir erkennen die Unterschiede zwischen den Arten nicht immer, aber die Bienen schon.
Insofern werden die Arten wohl auch unterschiedliche Bestäuber anlocken

Viele Grüße
Walter